KOMMENTAR |
Kurz vor der ISH 2017 zeigt ein Blick auf den Markt der etablierten Bauzulieferer in Sachen Digitalisierung ein erschreckendes Bild: Obwohl sie einen erheblichen Vorsprung im Hinblick auf Zugang und Vertrauen zu den wichtigen Entscheidern in Handel, Fachhandwerk oder bei den Fachplanern haben und sich seit fast 20 Jahren mit Smart Home-Themen befassen, werden sie von branchenfremden Playern oder Start-ups bedroht.
Der klassischen Bauzulieferindustrie gelingt es in der Breite aktuell nicht, ihren Vorsprung zu kapitalisieren. Die wenigsten Unternehmen haben eine klare Antwort auf die Frage nach ihrer digitalen Agenda bzw. ihrer Digitalisierungsstrategie. Die typischen Ursachen für diesen „verhaltenen“ Erfolg?
- Digitalisierung ist noch immer keine Chefsache! Digitalisierung wird nicht ganzheitlich verstanden – eine klare Digitalisierungsstrategie bzw. –agenda ist nur selten zu erkennen.
- „Ressortdenke“ überwiegt! Nur selten wird ein Produkt zusammen mit der Vermarktungsstrategie für die heterogenen Zielgruppen und mit einem neuen Nutzenprofil funktionsübergreifend entwickelt.
- Bedrohung? Gibt’s nicht! Externe Player, egal ob Apple, Google oder dynamische Neugründungen, werden nicht ernst genommen.
- Mangelware digitale Kompetenz! Mechanische Lösungen erfordern andere Kompetenzen als Elektronik bzw. Software-basierte Funktionalität und Interaktion –die zugrundeliegende Innovations- und Entwicklungsstrategie sowie deren Organisation muss angepasst werden!
- Traditionen gehen vor! Geschäftsmodelle, die an „traditionellen Spielregeln“ wie zum Beispiel 3-Stufigkeit, Rolle des Großhandels, Autonomie des Handwerks rütteln, werden wie ein Tabu behandelt – und damit wertvolle Chancen vertan.
Ein Geheimrezept für ein zukunftsfähiges digitales Leistungsangebot gibt es nicht. Eine wichtige Frage muss jedoch jetzt geklärt werden: Wie wird die Branchenstruktur in Zukunft aussehen, wie die Zielgruppen? Denn genau dafür muss ein Angebot entwickelt werden, das – ausgehend vom Auftraggeber, über das Fachhandwerk bis hin zum Hersteller – einen differenzierenden sowie relevanten Nutzen stiftet und gut verständliche Leistungen anbietet. Selbstverständnis und Positionierung des Unternehmens müssen bei der Entwicklung von digitalen Geschäfts- oder Erlösmodellen auf jeden Fall kritisch und in ihrer ganzen Breite hinterfragt werden. Nur dann kann eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens, seiner Wertschöpfung und seiner Organisation erfolgreich auf den Weg gebracht werden!
Klar ist jedenfalls: Gerade die etablierten Player aus Industrie und Handel müssen sich jetzt ihrer Stärken besinnen – und noch heute damit beginnen, konsequent, mutig und planvoll zu agieren. Nur dann können sie als Gewinner aus der Digitalisierung hervorgehen und auch in den Märkten der Zukunft eine bedeutende Rolle spielen.
Florian Kaiser, Leiter Bauzulieferindustrie bei Dr. Wieselhuber & Partner
www.wieselhuber.de