Der Fachkräftemangel wird in der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft seit mehr als einem Jahrzehnt lang und breit diskutiert. Geändert hat sich an der grundlegenden Situation bisher nichts. Wie auch, denn die Branche besticht nicht gerade durch ihr cooles Image. Nach aktuellen Erhebungen des EBZ im HR-Monitor 2022 sehen 55% der befragten Unternehmen den Fachkräftemangel als Investitionshemmnis. Klar, das Problem ist aufgrund des demografischen Wandels ein gesamtgesellschaftliches. Aber das ist nur ein Teil der Wahrheit.
Die Babyboomer, wie die geburtenstarken Jahrgänge heute genannt werden, sind bereits aus dem Arbeitsleben ausgeschieden oder werden dies in den nächsten 10 Jahren tun. Bis 2060 wird der Anteil der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter von heute 63 auf rund 52 Prozent zurückgehen. Und es wächst immer weniger nach. Die Zahl der Menschen im Ausbildungsalter wird nach Prognosen des Statistischen Bundesamts bis 2040 um 1 Million zurückgehen. Sichtbar ist die Entwicklung auch an den Hochschulen. Seit dem Wintersemester 2018/19 ist die Zahl der Studienanfänger um knapp 10 Prozent gesunken. Für Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum, ist diese Entwicklung die Hauptursache für den Fachkräftemangel. „Die Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich Demografiebedingt kontinuierlich bis 2030 verschlechtern“, so EBZ-Vorstand Klaus Leuchtmann. „Der Handlungsdruck ist hoch.“
Schlechtes Personalmanagement und Recruiting
Und was passiert? Zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung so gut wie nichts. Zwar verzeichnet der jährlich vom EBZ herausgegebene HR-Report ein gestiegenes Interesse an den Themen Aus-, Fort- und Weiterbildung innerhalb der Branche. Doch häufig fehlt es an Kompetenzen bei Fach- und Führungskräften in Sachen Ver- änderungsmanagement und Agilität. Pro- fessionelles Personalmanagement und Recruiting sind in der Branche vergleichsweise deutlich unterrepräsentiert. Das gleiche gilt für die Öffentlichkeitsarbeit zur Image-Pflege.
Das zeigt sich auch beim Arbeitgeberwettbewerb „Deutschlands Beste Arbeitgeber 2022“ des Great Place to Work Instituts. Rund 800 Unternehmen hatten an einem Kultur-Audit teilgenommen und ihre Mitarbeitenden anonym befragen lassen. Unter den 100 Unternehmen, die seitdem den Titel „Deutschlands Beste Arbeitgeber 2020“ führen dürfen, findet sich nur eines aus dem Bereich Grundstücks- und Wohnungs- wesen. Daraus kann man schließen, dass attraktive Arbeitsbedingungen auf der Prioritätenliste nicht sonderlich weit oben stehen.
Die Unternehmenskultur ist entscheidend
Für eine Branche, die sich als „einen der größten Wirtschaftszweige Deutschlands“ (ZIA) betrachtet, ist das ganz schön wenig. Die knapp 800.000 Unternehmen mit ihren rund 3,5 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten vermarkten sich kaum im Wettbewerb um Talente und Fachkräfte. Und das in einer Zeit, in der Online-Bewertungen zur wichtigsten Währung nicht nur auf dem Stellenmarkt geworden sind. Einer Befragung des Branchenverbands Bitkom zufolge hat sich knapp die Hälfte der Stellensuchenden schon einmal gegen die Bewerbung bei einem potenziellen Arbeitgeber entschieden, weil er auf einem Bewertungsportal zu schlecht bewertet wurde.
Vorbei sind auch die Zeiten, in denen die Höhe des Salärs maßgeblich war, um ein Jobangebot anzunehmen. Nach einer Umfrage des Jobportals Stepstone ist Arbeitnehmern heute die Unternehmenskultur mindestens ebenso wichtig. Und die fängt in der Führungsetage an. Nach dem Kulturkompass des Bewertungsportals Kununu sind solidarische Kollegen und der Zusammenhalt untereinander wesentlich für eine gute Unternehmenskultur.
Flache Hierarchien, Partizipation und flexible Arbeitsbedingungen
Abhängige Tätigkeiten ohne Entscheidungsfreiräume wirken sich besonders negativ auf die Unternehmenskultur aus. Das gleiche gilt für eine intransparente Unternehmensführung, die die Beschäftigten über die künftige Entwicklung im Unklaren lässt. Modernes Arbeiten erfordert flache Hierarchien, eine Teilhabe der Mitarbeitenden und flexible Arbeitsbedingungen. Wer als Führungskraft in flachen Hierarchien zurechtkommen will, braucht eine gefestigte Persönlichkeit und ein gutes Reflexionsvermögen. Mit dem patriarchalen Ukas „so wie ich es sage wird es gemacht“ kommt man heute nicht mehr weit. Arbeitende wollen vor allem eines: Sinnhaftigkeit. Entsprechend muss der Sinn einer Aufgabe erklärt werden.
Immobilienbranche im Transformationsprozess
Die Arbeitswelten werden sich auch weiterhin mit hohem Tempo verändern. Arbeitsmodelle werden zunehmend flexibler und hybrider, lautet ein Fazit der HR-Studie. Mitarbeiter nehmen immer mehr Einfluss auf die Gestaltung ihrer Arbeitswelt. Projektstrukturen, flache Hierarchien, das Automatisieren einfacher Prozessschritte durch künstliche Intelligenz (KI) und die Fähigkeit zur Interaktion von Menschen und Maschinen gewinnen an Bedeutung. In diesen Bereichen gibt es weitere Defizite in der Aus- und Weiterbildung. Leuchtmann fasst es so zusammen: „Die Branche befindet sich in einem tiefgreifenden Transformationsprozess mit hoher Veränderungsgeschwindigkeit und stetiger Zunahme von Komplexität. Nahezu alle Rollen im Unternehmen benötigen ein Upscaling ihrer Kompetenzprofile.“ Mit an deren Worten: es herrscht enormer Nachholbedarf an allen Ecken und Enden.
Frauen in Führungspositionen? Häufig Fehlanzeige!
Der Immobilienbranche ist es bislang auch nicht gelungen, Frauen in Führungsebenen gleichermaßen einzubeziehen. Zwar sei der Frauenanteil insgesamt gewachsen, doch in den meisten Unternehmen fehle es an speziellen Führungskräfteprogrammen, so die Studienautoren. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten – 55 Prozent – in den befragten Unternehmen sind Frauen; doch nur knapp mehr als ein Drittel (35 Prozent) aller Führungspositionen sind mit Frauen besetzt.
Was also ist zu tun in einer Branche, die zwar elementar für unsere Gesellschaft ist, aber beim Image irgendwo zwischen Versicherungsvertreter und Beamter in einer Amtsstube rangiert? Zunächst braucht es die Selbsterkenntnis, dass es eine Menge Hausaufgaben zu erledigen gibt und dann den Willen, den Weg der Transformation zu gehen. Ein Zurück in alte Zeiten gibt es nicht mehr, wenn die Branche für Führungs-, Fach und Nachwuchskräfte interessant sein will. Denn wer geht schon zu den Langweilern, wenn er die Wahl hat?
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