In der Kindheit und Jugend war meine Welt stabil. Wir hatten die stabile D-Mark, weitgehend stabile politische Verhältnisse im Land und weitgehend stabile internationale Verhältnisse durch den Kalten Krieg und die Einbettung in die Nato.
Damals hat mir die Abschreckungspolitik Angst gemacht. Heute sieht man sehr gut, wie volatil die internationalen Beziehungen und Bündnisse sind. Damals habe ich mich immer wieder einmal kopfschüttelnd gewundert über das unregierbare und ständig klamme Italien. Zwei, drei, manchmal vier unterschiedliche Regierungen in einer Legislaturperiode waren dort nichts Besonderes. Heute, 40 Jahre später, scheint von der deutschen Stabilität nicht mehr viel übrig zu sein. Denn jetzt haben wir den Salat: Ein Kriegstreiber vor der europäischen Haustür, einen unberechenbaren Verbündeten im Weißen Haus, die Ampel kaputt, Rechtspopulisten auf dem Vormarsch, Neuwahlen im Februar, ungeklärte Mehrheiten und ein Haushalt auf der Kippe.
Die Liste der Herausforderungen für die nächste Bundesregierung ist nicht eben kurz: schwächelnde Wirtschaft, hohe Zinsen, hohe Inflation, Wohnraummangel, steigende Mieten und Energiepreise, zunehmende Staatsverschuldung, demografischer Wandel, Fachkräftemangel, steigender Wehr-Etat, sinkende Steuereinnahmen, am Boden liegender Hochbau, Energiewende, ambitionierte Klimaziele, stockende energetische Sanierungsquote und so weiter und so fort.
Was Deutschland gerade in dieser Zeit braucht, ist die Stabilität von früher. Aber leider ist die aktuelle Situation eine andere. Das Ende der Ampel wurde vor gut einem Jahr in Karlsruhe durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts eingeleitet. Damals untersagte das höchste deutsche Gericht dem Bund, ungenutzte Mittel zur Bekämpfung der Coronakrise in den Klima- und Transformationsfonds zu verschieben. Mit der Entscheidung fehlten plötzlich 60 Milliarden im Haushalt. In der Folge schacherte jedes Ministerium um seine Pfründe. Und an der Diskussion um die Schuldenbremse zerbrach die Koalition vollends.
Bald könnte der nächste Schlag aus Karlsruhe ins ohnehin nicht gut gefüllte Kontor folgen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat Mitte November über den Solidaritätszuschlag verhandelt. Der sogenannte Soli wurde vor fast 30 Jahren eingeführt, um die Kosten der deutschen Wiedervereinigung zu stemmen. Die Kläger argumentieren, diese Kosten seien längst bezahlt und eine Ergänzungsabgabe wie der Soli dürfe nicht dauerhaft erhoben werden. Der Solidarpakt II zur Unterstützung der neuen Bundesländer ist bereits 2019 ausgelaufen.
Seit 2021 zahlt wegen einer hohen Freigrenze nur noch etwa jeder zehnte Einkommensteuerzahler die Ergänzungsabgabe, zuletzt rund sechs Millionen Menschen und etwa 600.000 Kapitalgesellschaften die Abgabe. Seit dem Veranlagungszeitraum 2005 wird der Soli nur vorläufig festgesetzt. Das bedeutet: Bei einem entsprechenden Urteil könnten die seitdem geleisteten Solidaritätszuschläge erstattet werden, auch wenn kein Einspruch eingelegt wurde. Würde der Solidaritätszuschlag rückwirkend für verfassungswidrig erklärt, könnte dies zu Rückzahlungen von bis zu 66 Milliarden Euro führen. Was das für den Bundeshaushalt bedeutet, der ohnehin ein großes Loch aufweist, können wir uns alle denken. Bis es eine Entscheidung in Karlsruhe geben wird, werden wahrscheinlich noch ein paar Monate vergehen.
Die Bundesregierung hat für das kommende Jahr Soli-Einnahmen von 12,75 Milliarden Euro fest im Haushalt verplant. Sollte das Verfassungsgericht den Zuschlag kippen, würde dies das Loch im Etat für 2025 noch deutlich vergrößern.
Das bringt uns zu der Frage, wie die nächste Bundesregierung das Bewältigen der zunehmenden innen- und außenpolitischen Herausforderungen finanzieren soll. Ich wage heute schon zwei Prognosen:
- Die nächste Bundesregierung wird die Schuldenbremse kippen.
- Die Förderprogramme im Gebäudesektor werden zusammengestrichen.
Wir leben heute in einer zunehmend instabilen Welt, in der innen- und außenpolitisch immer mehr Krisen in immer schnellerer Folge bewältigt werden müssen. Und ich habe jedes Verständnis für die Schwierigkeit der Aufgabe, einen seriösen und rechtssicheren Haushalt aufzustellen. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass die Wirtschaft im Allgemeinen und die Bau- und Wohnungswirtschaft im Besonderen nur eines brauchen: stabile Verhältnisse, in denen ordentlich gewirtschaftet, bewirtschaftet, energetisch saniert und gebaut werden kann.
Doch das ist zurzeit leichter gesagt als getan, denn die Verhältnisse sind nicht stabil. Und sie werden auf absehbare Zeit auch nicht stabiler werden. Ich bin und war kein großer Fan der Ampel, aber eines muss ich doch konstatieren: Seit den Anfangszeiten der Bundesrepublik, als noch viele Häuser in Schutt und Asche lagen, hat keine Regierung mit mehr Maßnahmen versucht, das Ruder im Wohnungsbau herumzureißen als diese Regierung. Sie hat das Problem zwar nicht verursacht, aber als Resultat aus 30 Jahren politischer Untätigkeit geerbt.
Die nächste Bundesregierung, wie auch immer sie aussehen mag, wird vor den gleichen Problemen stehen – nur eben vier oder fünf Monate später. Fraglich allerdings wird dann angesichts klammer Kassen sein, ob sie auch gewillt ist, ähnlich viel in den Wohnungsbau zu investieren. Doch selbst wenn der Gebäudesektor dann die gleiche Priorität haben wird, bleibt immer noch die Frage nach dem finanziellen Handlungsspielraum. Und da bin ich mit Blick auf die politische und wirtschaftliche Großwetterlage skeptisch.
Oliver Mertens