Dass das Baurecht verschlankt und vereinfacht werden muss, ist eine Binsenweisheit. Zumindest fordern das seit Jahrzehnten Bürger und Politiker. Geschehen ist das Gegenteil. Noch mehr Vorschriften, noch mehr Auflagen, noch mehr Bürokratie. Und wieso spreche ich eigentlich von DEM Baurecht? Natürlich haben wir in Deutschland 16 Baurechte. Vor gut 20 Jahren hatte die Bauministerkonferenz eine Musterbauordnung beschlossen.
Die grundsätzliche Idee dahinter war das Vereinheitlichen der unterschiedlichen Baurechte. Alle waren dafür. Verbessert hat sich seitdem jedoch nicht viel. Das ist auch kein Wunder, denn das Baurecht gehört neben der Bildungspolitik zu den wenigen Spielfeldern, auf denen die Länder gestalten können. Deshalb wacht jedes Bundesland eifersüchtig wie Gollum über seinen Schatz. Hinzu kommen die sehr hohen und teuren Anforderungen an energetische Sanierungen. Beide Faktoren haben in Verbindung mit Inflation, Rezession und steigenden Zinsen zum Erliegen des Wohnungsneubaus geführt.
Doch jetzt scheint die schiere Not zu einem Umdenken zu führen. Angesichts des wachsenden Wohnungsmangels infolge der Flaute am Bau schwenken immer mehr Länder um. Bereits im letzten Jahr wollte der schwarz-rote Berliner Senat das „Schneller-Bauen-Gesetz“ einbringen. Jetzt soll es bis Mitte 2024 verabschiedet werden. Und in Bayern diskutiert man darüber, die Stellplatzpflicht für neue Wohnungen auszusetzen.
Das „Schneller-Bauen-Gesetz“
Die Berliner Regierung will ihr geplantes Gesetz für schnelleres Bauen bis Mitte 2024 vorlegen. Man habe in den letzten Monaten hunderte Hinweise, Vorschläge und Anregungen von den betroffenen Verbänden und Bezirken bekommen. Noch im Januar soll eine erste Gesetzesformulierung vorliegen. Das Erstaunliche: Es geht nur zum Teil um ein Gesetz, darüber hinaus sollen Vorgaben, Verwaltungsabläufe, Verwaltungs- und Ausführungsvorschriften geändert und verschlankt werden.
Mit dem Gesetz sollen vor dem Hintergrund des anhaltenden gravierenden Wohnungsmangels in Berlin unter anderem Planungsverfahren beschleunigt und vereinfacht werden. Mitte Dezember hatte das Landesparlament bereits eine Novellierung der Bauordnung beschlossen, die zum Beispiel Geschossaufstockungen, Dachausbauten und das Bauen mit Holz erleichtern soll.
Verlässliche Fristen sollen Standard werden
Es geht der Landesregierung um klare Regeln zu den noch anstehenden Aufgaben. Das Wichtigste seien verlässliche Fristen. Bisher können sich die entsprechenden Verwaltungen für bestimmte Stellungnahmen so viel Zeit nehmen, wie sie meinen zu brauchen. Das führt immer wieder dazu, dass es bis zu sechs Monate dauert, bis es eine Stellungnahme gibt. Notwendig sei eine Art Schlussdatum, bis zu dem alle Einwendungen eingegangen sein müssen. Zum Teil liefen Prozesse zwei Jahre, bis einem Sachbearbeiter einfalle, dass er sich noch nicht geäußert hat. Dann gehe der Prozesse wieder von vorne los.
Und jetzt plant Bayern, die generelle Stellplatzpflicht aufzuheben. Damit könnten Kommunen künftig selbst entscheiden, ob für jede neu gebaute Wohnung ein Stellplatz nachgewiesen werden muss. Eine solche Deregulierung wäre ein starkes Signal an die Länder.
Effizienzhaus 85 bringt viel und kostet vergleichsweise wenig
Der Vorstandsvorsitzende der Bundesstiftung Baukultur, Reiner Nagel, hat Mitte Januar in der Sitzung des Ausschusses für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen die Sanierung des Gebäudebestands in den Vordergrund gerückt. Nagel betonte die Bedeutung der energetischen Sanierung: „Die Sanierung schlägt den Ersatz-Neubau, wobei schon wenig viel hilft.“ Der KfW-Effizienzhausstandard 85 bringe viel und koste vergleichsweise weniger als strengere Standards. Die Hindernisse im Bestand müssten durch eine neue Umbauordnung angegangen werden.
In beiden Fällen, also bei der Bestandssanierung und im Wohnungsbau hilft nur echte Deregulierung weiter. Energetische Goldrandlösungen helfen nicht mehr, denn sie verteuern das Wohnen und verhindern den Neubau. Selbst eine üppige Förderung garantiert weder Wirtschaftlichkeit noch Planungssicherheit. Baurechtliche Anforderungen müssen grundsätzlich auch ohne Förderung wirtschaftlich tragfähig sein.
Aktuell prägen uneinheitliche Regelungen und ein überkomplexes Baurecht die Baubranche. Deshalb ist es höchste Zeit, über eine umfassende Reform von Baurecht und energetischen Standards nachzudenken, die das Bauen schneller und günstiger machen.
Komplexität als Hemmschuh für Innovationen
Die Vielzahl unterschiedlicher Bauvorschriften auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene führt zu einem Dickicht an Regelungen, das nicht nur schwer zu durchdringen ist, sondern auch innovative Bauprojekte behindert. Bauherren, Architekten und Bauunternehmen sehen sich mit einem bürokratischen Aufwand konfrontiert, der nicht nur Zeit, sondern auch finanzielle Ressourcen bindet. Eine Vereinheitlichung des Baurechts könnte diesen Prozess erheblich vereinfachen.
Rechtssicherheit als Grundvoraussetzung für Investitionen
Investoren schätzen Planungssicherheit. Doch die derzeitige Rechtslandschaft im Baubereich ist geprägt von Unsicherheiten, weil je nach Standort unterschiedliche Regelungen gelten. Dies schreckt potenzielle Geldgeber ab und bremst die dringend benötigten Investitionen in die Infrastruktur.
Eine Vereinheitlichung des Baurechts schafft nicht nur Klarheit, sondern auch Vertrauen bei Investoren.
Zeit- und Kostenersparnis durch Verschlankung
Die aktuelle Fülle an Bauvorschriften führt zwangsläufig zu einem langwierigen Genehmigungsprozess. Zeit ist jedoch gerade im Baubereich ein entscheidender Faktor. Durch eine Verschlankung des Baurechts können nicht nur Genehmigungsverfahren beschleunigt, sondern auch die mit ihnen verbundenen Kosten reduziert werden. Dies kommt nicht nur den Bauherren zugute, sondern auch den Mietpreisen.
Umweltschutz und Nachhaltigkeit als integrale Bestandteile
Eine vereinheitlichte Baurechtsreform bietet die Möglichkeit, Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsaspekte besser zu integrieren. Ein einheitlicher Standard für ökologische Bauprojekte könnte dazu beitragen, nachhaltiges Bauen zu fördern und so einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Klare Vorgaben im Baurecht würden Planern und Bauherren ermöglichen, von Anfang an nachhaltige Konzepte zu verfolgen.
Eine umfassende Reform des Baurechts, die auf Vereinheitlichung und Verschlankung abzielt, ist nicht nur überfällig, sondern auch entscheidend für die Zukunftsfähigkeit unserer Städte und Gemeinden. Ein einheitlicher, klarer und transparenter Rechtsrahmen wird nicht nur die Baubranche stärken, sondern auch einen positiven Einfluss auf Wohnungsmarkt, Wirtschaft, Umweltschutz und letztlich die gesellschaftliche Partizipation haben. Es ist an der Zeit, die Weichen für eine zukunftsorientierte Baurechtsreform zu stellen und gemeinsam an einer nachhaltigen, effizienten und innovativen Gestaltung unserer Bauvorhaben zu arbeiten.
Oliver Mertens