Manchmal stelle ich mir diese Frage. Zuletzt war das bei der Pressekonferenz des Verbändebündnisses Wohnungsbau der Fall.
Wenn man den Verbänden der Bau- und Immobilienwirtschaft folgt, steht die Wohnungsbaubranche kurz vor dem Fall ins Bodenlose. Das Bündnis sieht die Neubausituation in Deutschland so schlecht wie noch nie. Wissenschaftler des schleswig-holsteinischen Wohnungs- und Bauforschungs-Instituts Arge in Kiel legten eine aktuelle Studie vor – und das mit klaren Worten: „Wenn jetzt nichts passiert, dann gibt es beim Wohnungsbau keine Talfahrt, dann erleben wir beim Neubau von Wohnungen einen regelrechten Absturz“, mahnt Studienleiter Professor Dietmar Walberg.
Noch sei der Wohnungsbau gut aufgestellt. Den Forschern zufolge reichen die vorhandenen Kapazitäten, um 400.000 Wohnungen pro Jahr neu zu bauen. Immer vorausgesetzt, dass das Bauen auch möglich ist. Allzu oft stünden dem lähmende Genehmigungsprozesse sowie hemmende Vorschriften und Auflagen entgegen. Die führenden sieben Verbände der Bau- und Immobilienwirtschaft für den Wohnungsbau in Deutschland haben sich im Verbändebündnis Wohnungsbau zusammengeschlossen und fordern Bund und Länder auf, seine Förder gelder für den Wohnungsbau massiv aufzustocken.
Konkret seien für den sozialen Wohnungsbau bis 2025 mindestens 50 Milliarden Euro Fördermittel notwendig. Diese sollten von Bund und Ländern als Sondervermögen zur Verfügung gestellt werden. Nur mit den zusätzlichen Mitteln könne es gelingen, 100.000 Sozialwohnungen pro Jahr neu zu bauen. Der Staat müsse zusätzlich dem bezahlbaren Wohnungsbau intensiv unter die Arme greifen: Für 60.000 Wohnungen mit einer Kaltmiete zwischen 8,50 Euro und 12,50 Euro seien in dieser Legislaturperiode des Bundes noch einmal mindestens 22 Milliarden Euro notwendig.
Zudem sei es notwendig, den Bauüberhang – also die rund 900.000 zwar genehmigten, aber noch nicht fertig gebauten Wohnungen – ins Visier zu nehmen. Vor allem die 40 Prozent davon, die bislang nur auf dem Papier stehen, bei denen es aber noch keinen Baustart gibt. Den Forschern zufolge werden die Bauvorhaben reihenweise auf Eis gelegt, weil sie nicht mehr finanzierbar sind. Es komme jetzt darauf an, sie für den bezahlbaren und den sozialen Wohnungsbau zu gewinnen. Bevor Tausende von Wohnhäusern gar nicht gebaut würden, sollte der Staat Bauprojekte, die auf der Kippe stehen, retten. Dazu fordert das Verbändebündnis ein Sonderprogramm zur Wohnungsbau-Soforthilfe vom Bund: ein Förderpaket mit Zuschüssen und günstigen Krediten. Auch Umplanungen müsse der Staat dabei unterstützen. Wichtig seien außerdem deutliche Abstriche bei Auflagen, um das Bauen so günstiger zu machen. So könne es gelingen, Wohnungen, die mit freifinanzierten Mieten geplant waren und deren Bau vor dem Aus stehe, doch noch an den Markt zu bringen – und zwar mit bezahlbaren Mieten und als Sozialwohnungen.
Darüber hinaus sei es gerade in Metropolregionen, wo der größte Wohnungsmangel herrsche, wichtig, „jeden Quadratmeter zu nutzen, um umzubauen und aufzustocken“. Es komme jetzt darauf an, die Dachaufstockung endlich voranzutreiben. Ebenso müssten Büro- und Gewerbeimmobilien zu bezahlbaren Wohnungen und in Sozialwohnungen umgebaut werden: „Städte müssen dahin wachsen, wo Platz ist: nach oben. Und Gewerbeflächen, die nicht mehr gebraucht werden, müssen zu Wohnflächen werden“, forderte das Wohnungsbau-Bündnis. Damit das passiere, müsse der Staat entschlossen Geld in die Hand nehmen, Genehmigungsprozesse erleichtern sowie Hemmnisse in Gesetzen und Verordnungen beiseiteschaffen. Die Untersuchung der Arge macht deutlich: Noch nie seit dem zweiten Weltkrieg waren die Bedingungen für den Wohnungsbau so schlecht. Studienleiter Walberg konstatiert: „Noch nie gab es gleichzeitig einen so hohen Bedarf von über 700.000 Wohnungen, so hohe Baukosten, so hohe Zinssprünge und vor allem auch so hohe Auflagen und Vorschriften für das Bauen wie heute. Der Wohnungsbau steckt in einer absoluten Ausnahmesituation“.
Der Wohnungsbau-Tag warnte: Eine Weiter-so-Politik werde zum Abbau von Baukapazitäten führen. Wenn der Bau jetzt aber Manpower und Technik verliere, dann laufe bald nichts mehr. Die Baubranche stehe vor einer Zäsur: „Der Beschäftigungsabbau geht rasend schnell. Er läuft auf dem Bau sechs Mal schneller als der Personal-Aufbau. Geht der Bau jetzt in die Knie, dann dauert es also Jahrzehnte, bis er wieder auf die Beine kommt und das Niveau erreicht, das er bis heute mit Mühen aufgebaut hat: 920.000 Beschäftigte im Bauhauptgewerbe“, so Walberg. Ein Einbruch beim Wohnungsbau werde nicht nur fatale Folgen für die Versorgung der Bevölkerung mit dringend benötigtem Wohnraum haben. Auch volkswirtschaftlich stehe viel auf dem Spiel: „Der Wohnungsbau ist ein starker Motor der Binnenkonjunktur – vor allem in der Krise. An der gesamten Wertschöpfungskette Wohnungsbau hängen über drei Millionen Arbeitsplätze“, so Studienleiter Walberg.
Die Akteure der Bau- und Immobilienbranche forderten auf dem Wohnungsbau-Tag, der Staat müsse jetzt kräftig an allen Stellschrauben drehen, an denen er drehen könne, um das sich abzeichnende „Desaster auf dem Wohnungsmarkt in letzter Minute noch abzuwenden“: Neben einem entschlossenen „Milliarden-Booster bei der Förderung“ sei eine konsequente Überprüfung von Gesetzen, Verordnungen und Normen notwendig. „Es geht darum, Kostentreiber drastisch zu reduzieren und Standards zu senken“, so ARGE-Institutsleiter Walberg.
Die Studie nennt konkrete Zahlen: So machen Kommunen den Quadratmeter Wohnfläche im Neubau im Schnitt um gut 170 Euro teurer. Auf das Konto des Bundes gehen mehr als 400 Euro. Der Staat drehe über eine ganze Reihe von Punkten an der Preisspirale: beispielsweise durch Schall- und Brandschutz, Vorgaben bei Stellplätzen, für Außenanlagen und beim Material für Gebäudefassaden.
Dies führt nach Angaben der Wissenschaftler dazu, dass die aktuellen Baukosten einer Mietwohnung in Großstädten im Schnitt bei 4070 Euro pro Quadratmeter liegen. Hinzu komme noch der Grundstückspreis, der mit durchschnittlich 900 Euro zu Buche schlage. Die aktuell von der Arge ermittelten Kosten für den Neubau von Mietwohnungen in großen Städten liegen damit bei knapp 5000 Euro. Diese Zahlen machen nach Angaben des „Verbändebündnisses Wohnungsbau“ eines deutlich: „Es geht darum, jetzt alle Register zu ziehen. Ohne ein drastisches Aufstocken der staatlichen Förderung ist der Wohnungsneubau in Deutschland nicht mehr machbar.“
Ehrlich gesagt kann ich mir nicht vorstellen, dass die Ampel noch einmal deutlich mehr Geld in die Hand nimmt, um den Wohnungsneubau zu stützen. Dafür scheinen mir die Rahmenbedingungen aus Zinsanstieg, Inflation und einer täglich schwindenden Zahl von Bauarbeitern zu schlecht zu sein. Weil es nicht nur auf dem Wohnungsmarkt brennt, sondern auch an vielen anderen Ecken, wie Energiesektor, Bundeswehr, Fachkräftemangel, Zuwanderung und so weiter und so fort. Jeder dieser Bereiche hat gravierende Auswirkungen. Am Ende stellt sich auch die Frage, ob die Bewältigung so vieler Krisen gleichzeitig überhaupt noch finanzierbar ist. Ich persönlich kann mir kein Szenario vorstellen, bei dem Zinsen und Inflation nicht noch weiter steigen. Und beides zusammen lähmt Investitionen. Ist Deutschland also noch zu retten? Mir gehen langsam die Ideen aus. Vielleicht haben Sie liebe Leserin, lieber Leser noch den einen oder anderen Tipp auf Lager. Schreiben Sie mir gerne, wir bleiben dran am Thema.
Jörg Bleyhl