Themenserie: Schäden an der Fassade (Teil 2)
Im Zusammenhang mit intensiven Farbtönen auf Fassaden oder auch Schadensbildern in Form von Rissen wird häufig der sogenannte Hellbezugswert (HBW) erwähnt. Was ist der Hellbezugswert, und welchen Einfluss hat dieser bei Planung und Ausführung und/oder Schäden von Fassadenoberflächen? Der nachfolgende Beitrag zeigt die Hintergründe auf und stellt neue Technologien vor, mit denen intensive Farbtöne realisiert werden können.
In den letzten Jahren hat die Nachfrage nach dunklen oder intensiven Farbtönen auf Fassaden durch Bauherren und Architekten deutlich zugenommen. Die Gründe hierfür sind vielfältig; einer der Wesentlichen ist die Gestaltungsfreiheit im Zusammenhang mit Mischfassaden. Während der Farbton rein optisch nach Farbtonreihen bestimmt wird, liegt die technische Definition im sogenannten Hellbezugswert.
Hellbezugswert – Maß für die Helligkeit
Der Hellbezugswert ist ein Maß für die Helligkeit von Oberflächen und beschreibt, wie das menschliche Auge einen Farbton in Relation zu Reinweiß und Tiefschwarz wahrnimmt. Ein Wert von 100 entspricht der Helligkeit einer absolut weißen Oberfläche. Dem entsprechend steht die Null für eine absolut schwarze Oberfläche. Der Hellbezugswert beschreibt den Anteil des auf eine Oberfläche auftreffenden sichtbaren Lichts, der von dieser Oberfläche zurückgeworfen (reflektiert) wird. Diesen Reflexionsgrad eines bestimmten Farbtons setzt man ins Verhältnis zwischen dem Schwarzpunkt (0) und dem Weißpunkt (100). Kleinere Werte stehen für dunklere Farbtöne, hellere Farbtöne erkennt man an den größeren Werten. Entgegen allgemeiner Annahme sind für den Hellbezugswert der Glanzgrad und/oder das verwendete Bindemittel nicht relevant. Dieser wird ausschließlich durch Art und Höhe der farbigen Pigmentierung beeinflusst – sowie durch Verschmutzung. Letzteres ist am Markt kaum bekannt und für einige Schadensmechanismen ursächlich.
Dunklere Farbtöne an der Fassade unterliegen aufgrund der hygrothermischen Einflüsse einer größeren Temperaturspannung als weiße oder helle Oberflächen. Dies spielt insbesondere bei Wärmedämm- Verbundsystemen eine Rolle, da die Oberflächen aufgrund der Wärmedämmschicht stärkeren Temperaturschwankungen und damit Dehn- und Schrumpfbewegungen unterliegen. Diese können Risse in der Putzschicht und bei Wärmedämm-Verbundsystemen aus Polystyrol- Hartschaumplatten Verformungen der Wärmedämmplatten sowie Abrisse in den Anschlussbereichen verursachen.
Infolgedessen wird brancheneinheitlich und herstellerübergreifend empfohlen, die Farbtöne von Schlussbeschichtungen mit einem Hellbezugswert nicht unter 20 auszuführen. Entsprechende Formulierungen finden sich sowohl in der DIN 5033-3 sowie in der DIN 55699 und dem gleichnamigen BFS-Merkblatt 21 „Planung und Verarbeitung von Wärmedämm-Verbundsystemen“. Dass intensive Farbtöne mit einem Hellbezugswert unter 20 nicht ausschließlich ein Problem von Wärmedämm- Verbundsystemen sind, zeigt sich allein dadurch, dass sich gleichlautende Empfehlungen auch in den „Leitlinien für das Verputzen von Mauerwerk“ (gemeint ist hoch wärmedämmendes Mauerwerk) des Industrieverbands Werktrockenmörtel wiederfinden. Diese Empfehlungen gelten in ähnlicher Form auch in Österreich und der Schweiz, auch wenn in den beiden Alpenrepubliken die Werte mit 25 (Ö-Norm B 6400 „Außenwand-Wärmedämm-Verbundsysteme- Anwendung“) und 30 (SIANorm 243 „Verputzte Außenwanddämmung“) leicht abweichen.
Dadurch soll das Auftreten von Spannungsrissen vermieden werden. Diese Empfehlung gilt generell, Ausnahmen sind möglich. So werden auch spezielle Wärmedämmplatten oder seit Kurzem Farbbeschichtungen angeboten, die einen Hellbezugswert von kleiner als 20 auch auf Wärmedämm- Verbundsystemen zulassen (hierzu später mehr). Des Weiteren gibt es Objektbedingungen, bei denen man von dieser Empfehlung abweichen kann, zum Beispiel an Nordfassaden oder auf kleinen oder beschatteten Flächen. Rechtsexperten streiten seit Kurzem darüber, ob das Abweichen dieser Empfehlungen einen Verstoß gegen die allgemein anerkannten Regeln und für ausschreibende Stellen und/oder ausführende Firmen ein Haftungsrisiko darstellt.
Temperaturdifferenzen stellt Belastung für Fassade dar
Die tages- und jahreszeitlich bedingten Temperaturschwankungen können bis zu 25 Grad betragen. Es ist an warmen Frühlingstagen keine Seltenheit, dass die Temperaturen am Morgen nur knapp über dem Gefrierpunkt liegen und bis zum späten Nachmittag auf bis zu 25 Grad ansteigen können. Auch in den Wintermonaten kann die Temperatur in den Nachtstunden auf minus 10 bis 15 Grad fallen und tagsüber dann bis zu 10 Grad plus betragen. Die Temperaturdifferenz von zirka 25 Grad belastet dann innerhalb von einigen Stunden die Fassade – und hier insbesondere bei Wärmedämm-Verbundsystemen die dünnschichtige Fassadenoberfläche – und verursacht ein thermisches Quellen und Schwinden.
Dagegen ist relativ unbekannt, dass die Temperaturschwankungen der Fassadenoberfläche in Abhängigkeit vom Hellbezugswert der Beschichtung deutlich höher ausfallen können. So liegt die Sonneneinstrahlung (Globalstrahlung in Deutschland auf einer südwestorientierten Fassade) bei bis zu 1000 Watt pro Quadratmeter. Die daraus resultierenden Oberflächentemperaturen sind neben der Wärmeleitund Wärmespeicherfähigkeit des Untergrunds vor allem vom Absorptionsgrad der Oberfläche abhängig. Dieser beschreibt das Verhältnis von absorbierter Strahlung zur auftreffenden Strahlung. So erreicht selbst eine weiße Putzoberfläche (mit einem Hellbezugswert von 90) Temperaturen von bis zu 40 Grad. Eine pastellfarbene Putzoberfläche (mit einem Hellbezugswert von 60 bis 70) kommt immerhin schon auf 50 Grad, und etwas dunklere Farbtöne (Hellbezugswert 20) erreichen eine Oberflächentemperatur von bis zu 70 Grad. Der Vollständigkeit wegen sollen noch fast schwarze Farbtöne erwähnt werden, die einen Hellbezugswert von maximal 5 haben. Derartige Putzoberflächen können im Verlauf eines Jahres Temperaturen von bis zu 80 Grad erreichen.
Diese Tatsachen müssen bei der Planung und Ausführung von farbigen Beschichtungen in Abhängigkeit von der Gebäudelage und -geometrie beachtet werden, da das thermische Quellen und Schwinden in Abhängigkeit von der Art der Beschichtung bis zu 1,5 Millimeter pro Meter betragen können. Dies erzeugt Zugspannungen, die von den mineralischen Putzbeschichtungen nicht „abgepuffert“ werden können. Die Folgen sind Risse und in der weiteren Folge Abplatzungen. Organisch gebundene Beschichtungen dagegen weisen eine höhere Flexibilität und Elastizität auf. Möchte man die Risssicherheit noch weiter erhöhen, gibt es sowohl verarbeitungsbedingte oder materialspezifische Ansätze. Zu den Erstgenannten gehören beispielsweise kürzere Renovierungszyklen, um den dehnungs- und schrumpfungsbedingten Spannungen an der Oberfläche rechtzeitig entgegenzuwirken. Derartige Maßnahmen sind teuer und stehen in der Regel in keinem vernünftigen Aufwand-Nutzen- Verhältnis. Alternativ werden die Schichtdicken der organisch gebundenen Armierung erhöht oder diese zweilagig aufgetragen. Die Zugabe spezieller Fasern ist eine weitere Möglichkeit, der Zugspannung entgegenzuwirken.
In der bisherigen Betrachtung des Hellbezugswerts bleibt unberücksichtigt, dass das menschliche Auge nur elektromagnetische Strahlung in Wellenlängen von 400 bis 700 Mikrometer (μm) wahrnimmt. Die Energie der Sonnenstrahlen dagegen liegt im Infrarotbereich und somit zwischen 700 bis 2500 μm. Und genau hier liegt der wesentliche Unterschied, da das Aufheizen der Fassadenoberfläche eben nicht nur durch die infrarote und ultraviolette Strahlung, sondern die gesamte Solarstrahlung, verursacht wird. Diese Tatsache wurde bei der Neuentwicklung der bereits erwähnten Fassadenbeschichtungen berücksichtigt. Infolgedessen werden sich zukünftig Farbtonbeschränkungen nicht mehr am Hellbezugswert orientieren, sondern an der gesamten solaren Reflexion einer Beschichtungsoberfläche. Diese wird unter dem Kürzel TSR (= Total Solar Reflectance) definiert und erscheint zunehmend auf den technischen Merkblättern der Farbenindustrie. Im Gegensatz zum Hellbezugswert wird der Wert der gesamten solaren Reflexion allerdings von den verwendeten Pigmentkombinationen beeinflusst. Hierfür werden spezielle Titandioxidpigmente eingesetzt, die das Sonnenlicht hauptsächlich im Infrarotbereich ab rund 700 μm Wellenlänge reflektieren. Genau dieser Bereich ist mit über 50 Prozent am Aufheizen der Fassadenoberfläche verantwortlich.
Fassadenbeschichtungen im Wandel
Fazit: Fassadenbeschichtungen mit einem optimierten solaren Reflexionsvermögen werden zum Stand der Technik und den Markt nachhaltig verändern. Um zukünftig auch dunkle Farbtöne auf hoch wärmedämmenden Mauerwerken und Wärmedämm- Verbundsystemen applizieren zu können, ohne dass die Gefahr von Rissbildungen besteht, müssen Beschichtungsstoffe ein sehr hohes Reflexionsverhalten im Infrarotbereich aufweisen. Wie auch beim Hellbezugswert gilt: Je größer der Wert ist, desto geringer ist das Aufheizen der Oberfläche.
Bei der Betrachtung der klassischen Hellbezugswerte wird in der Regel nicht berücksichtigt, dass diese nicht nur durch die Farbtöne bestimmt werden. Durch Verschmutzung zum Beispiel durch Feinstaub oder auch mikrobieller Befall durch Algen, Pilze und zunehmend Bakterien kann der Hellbezugswert bis zu 5 Punkte beeinflusst werden. Dies muss berücksichtigt werden, wenn Fassadenbeschichtungen mit einem „grenzwertigen“ Hellbezugswert mit zunehmendem Alter in kritische Bereiche „abrutschen“ können. Denn auch diese Tatsache kann Ursache für Spannungen und im weiteren Verlauf für Risse und/oder Blasenbildung sein.
Und abschließend soll noch erwähnt werden, dass hohe Oberflächentemperaturen an der Fassade nicht zwangsläufig nur an heißen Sommermonaten verursacht werden. Allgemein unbekannt ist, dass je nach Hellbezugswert auch im Februar oder März etwa gleich hohe Temperaturen auf der Fassadenoberfläche gemessen werden können wie in den Sommermonaten. Ursächlich hierfür sind der Sonnenstand und die Intensität der Einstrahlung (Einfallswinkel).
Frank Frössel Sachverständiger für Bautenschutz und Bausanierung sowie Schimmel- und FeuchteschädenMehr zum Thema findet man im Fachbuch „Fassadenbeschichtung und -sanierung“ von Frank Frössel, das im Baulion Verlag erschienen ist. |