Dachbegrünung dominiert die Gebäudebegrünung – sie steht fast synonym dafür. Dabei wäre Fassadengrün eine optimale Ergänzung. Es ist für die Öffentlichkeit sichtbarer und kann ein starkes, ansprechendes und ästhetisch hochstehendes Gestaltungselement sein. Neuere technische Entwicklungen, innovative Gestaltungskonzepte, aber auch das Ziel, unsere Städte lebenswerter und klimatisch angenehmer zu machen, haben jüngst grüne Fassaden aufleben lassen. Zeichen dafür ist einerseits die kürzlich an der TU Darmstadt erschienene, umfassende Dissertation von Dr. Nicole Pfoser „Fassade und Pflanze – Potenziale einer neuen Fassadengestaltung“. Andererseits gibt es Förderungsprogramme in einer Reihe bedeutender Städte, wie Hannover, München, Stuttgart, Frankfurt und Wien. Eine Chance!
Grüne Fassaden als Lebensraum
Gegenüber extensiven Dachbegrünungen bietet Fassadengrün einen ganz anderen Lebensraum. Eine vielfältige Fauna findet im dichten Grün Nahrung, Deckung und Schutz sowie Nistplatz. Amseln, Bachstelzen, Grauschnäpper, Grünfinken, gelegentlich auch Rotkehlchen und Zaunkönige ziehen im Gewirr der Kletterpflanzen ihre Jungen auf. Vielerlei Insekten finden in der Blütenfülle einen reich gedeckten Tisch. Mit etwas Glück kann man an milden Frühlings- und Sommerabenden Schwärmer – große Nachtfalter in kolibriartigem, rasantem Flug – beobachten, die ihren langen Rüssel in die Tiefe duftender Geißblattblüten senken und den reichlich angebotenen Nektar schlürfen. Zu anderer Jahreszeit verköstigen sich Vögel wie auch Insekten an den Beeren von Jungfernrebe und Efeu.
Was Fassadengrün alles kann
Sommerliche Hitze ist vor allem in den inneren Bereichen großer Städte schwer zu ertragen, und Straßenbeläge und harte Gebäudefassaden reflektieren und speichern die Sonnenstrahlung. Fassadengrün beschattet die Wandflächen, wodurch sie sich – natürlich in Abhängigkeit der Vegetationsdichte – weniger erwärmen. Pflanzen kühlen jedoch auch aktiv durch Verdunstung. Die Luft wird feuchter, kühler, angenehmer. Davon profitiert auch das Gebäudeinnere: Kühllasten sinken. Bei hochwärmegedämmten Gebäuden ist dieser Effekt natürlich geringer, bei ungedämmten – etwa Industrie- und Lagerhallen – stärker. Je wärmer das Klima, desto besser die Wirkung – eine Tatsache, die im mediterranen Raum zur Pergolatradition geführt hat. Eine Anzahl weiterer positiver Wirkungen des Fassadengrüns seien hier nur angedeutet: Filterung und Konzentration von Feinstäuben, Schutz der Gebäudehaut vor Wind, UV-Strahlung, Temperaturextremen, Lärmminderung und anderes.
Systematik des Fassadengrüns
Bodengebundene Fassadenbegrünung: Das klassische Fassadengrün: Kletterpflanzen wurzeln im Boden und erobern nach und nach die Fassadenflächen. Entweder als Direktbegrüner sich an den Fassaden mit Wurzeln (Efeu, Kletterhortensie) oder Haftscheiben (Jungfernrebe) haltend – oder als Gerüstkletterpflanzen eine Kletterhilfe benötigend. Kletterpflanzen sind vor allem Bewohner von Waldrändern und lichten Wäldern. Sie wurzeln im eher feuchten und nährstoffreichen Waldboden und nutzen andere Pflanzen als Stütze, um möglichst rasch ans Licht zu gelangen. Dazu wenden sie nach Pflanzenart unterschiedliche Strategien an: Schlinger (Wisterien, Geißblätter), Ranker (Clematis, Weinreben) oder Spreizklimmer (Rosen). Die Kenntnis dieser Strategien ist Voraussetzung für die optimale Wahl der Kletterhilfen. Alle bodengebundenen Fassadenbegrünungen haben einen hohen Blattflächenindex (Verhältnis Blattfläche zu Bodenfläche), benötigen also viel Wasser, weshalb vor allem an regenabgewandten Flächen (Ostseiten) künstliche Bewässerungssysteme zu empfehlen sind. Wandgebundene Fassadenbegrünung: Sie ist seit einigen Jahren zum Thema geworden und stark mit dem französischen Pionier Patrick Blanc verbunden. Die Pflanzen wurzeln in an der Wand befestigten, substratgefüllten Behältnissen. Drei gängige Bauweisen werden unterschieden:
- Linear: horizontal verlaufende Behälter
- Modular: die Wand wird mit vorgefertigten, bilderartigen Modulen gestaltet
- Flächig: Trägerplatten mit Pflanztaschen werden der Fassade vorgehängt
Selbstverständlich brauchen alle wandgebundenen Fassadenbegrünungen eine automatische Wasser- und Nährstoffversorgung. Insgesamt ist wandgebundenes Fassadengrün sehr viel teurer als bodengebundenes – ein Kostenunterschied von Faktor 10 dürfte insgesamt etwa die Realität treffen. Ja, wandgebundenes Fassadengrün ist zum Prestigeobjekt geworden, womit diverse Firmen ihr Image pflegen. In diesem Kontext eröffnen sie aber auch neue, interessante Möglichkeiten der Fassadengestaltung.
Die Energie-Grün-Fassade
Fotovoltaik und Fassadenpflanzen – ein Paar. Fotovoltaik ist inzwischen derart günstig geworden, dass sie sich auch in der Schweiz vor allem für den direkten Eigenverbrauch rechnet, namentlich für gewerbliche und industrielle Betriebe. Nicht umsonst setzen große Unternehmen (Migros, Coop, Swisscom und andere) auf erneuerbare Energieträger und damit auch auf Fotovoltaik. Fotovoltaik erobert aber auch immer mehr Fassaden und ist inzwischen in vielen Farben – sogar Weiß – als interessantes Gestaltungselement verfügbar. Der gute Einfallswinkel für die tiefstehende Wintersonne, ebenso wie die Schneefreiheit ermöglichen gerade in der kalten Jahreszeit gute Erträge, wo Strom eher knapp sein kann. Lassen sich Fotovoltaik und Fassadengrün kombinieren? Ja, durchaus, aber das Zusammenfügen stellt hohe fachliche Anforderungen. Auf keinen Fall darf die Vegetation die Paneele beschatten. Direktbegrünungen scheiden da von vornherein aus, und die Pflanzenwahl ist sehr wichtig.
Fassadengestaltung und Pflanzenwahl
Die Auswahl einheimischer Kletterpflanzen ist sehr bescheiden und beschränkt sich bei den Gehölzen auf Clematis vitalba, Clematis alpina und Lonicera periclymenum, bei den Stauden auf den Hopfen (Humulus lupulus). Einige weitere Kletterstauden wie Bryonia dioca und Tamus communis kommen bestenfalls für spezielle Liebhaber infrage. Umso größer ist die Auswahl attraktiver Kletterpflanzen in Asien – namentlich in dessen Osten – und in Nordamerika. Von daher kommen viele verschiedene Clematis, Ampelopsis und Parthenocissus, Wisteria, Lonicera, Kletterrosen, Celastrus, Aristolochia, Actinidia, Campsis und andere. Einige haben ihre Heimat in Südeuropa: Clematis viticella und flammula, sowie die wunderschöne Lonicera etrusca. Zahlreiche gärtnerische Sorten haben die Palette großartig erweitert, sodass spezialisierte Gärtnereien mehrere 100 Sorten beziehungsweise Arten anbieten können. In der optimalen Kombination einer größeren Anzahl verschiedener Pflanzen liegen attraktive Gestaltungsmöglichkeiten. Sie verlangt allerdings profundes Pflanzenwissen. Ein ganzes Bündel Kriterien und Ziele sind zu beachten: zunächst die spezifischen Ansprüche der Pflanzen, namentlich an Besonnung und Mikroklima; ihre Kletterstrategie; die Wuchskraft und Wuchshöhe; die Präsenzzeiten der Belaubung sowie der Blüten und allfällig zierende Früchte. Tatsächlich können Fassaden ganzjährig attraktiv sein, und Blüten können mindestens zehn Monate zieren.
Herausforderungen und Chancen
Damit Fassadengrün seine Möglichkeiten besser ausschöpfen kann, die neuen Entwicklungen in der Fachwelt bekannt werden und hohe Berufskompetenz erreicht werden kann, ist einiges zu tun. Zunächst vertiefte Fachkurse, die auch mit einer Prüfung und einem Ausweis abschließen. Die Schweizerische Fachvereinigung Gebäudebegrünung (SFG) wird ein entsprechendes Bildungsprogramm anbieten. Die Information von Architekten, Landschaftsarchitekten und Stadtplanern, Bauherrschaften und Investoren ist also ein nächster wichtiger Schritt. Einige Städte wie Hannover und Wien bieten finanzielle Förderung sowie kostenlose Fachberatung an. Die Energie-Grün-Fassade wäre hierzu ein zukunftsweisendes Thema. Da die eidgenössische Politik diesbezüglich eher wenig Bereitschaft zeigt, muss die Initiative von den Städten und Gemeinden oder auch von Einzelpersonen kommen.
Zum Schluss: Süßes von der Fassade
Urban Gardening ist zum Modetrend geworden – hoffentlich auch dauerhaft. Fassaden bieten mit ihrem speziellen Mikroklima ideale Lebensbedingungen für manche Nahrungspflanzen. Weinreben etwa lieben heiße, sonnige Wände. Eine beachtliche Auswahl moderner, krankheitsresistenter und geschmacklich ansprechender Sorten ermöglichen den Anbau ohne Pestizide. An Ostfassaden im Regenschatten fühlen sich Aprikosen wohl und liefern süße, aromatische Früchte. Westseiten sind mehr für Kiwis geeignet, aber auch für eine Reihe anderer Obstarten am Spalier. So kann heute die Vision innovativer Vordenker in Erfüllung gehen: Leckere, eigene Früchte in den Städten.
www.sfg-gruen.ch
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Der Autor
Fritz Wassmann-Takigawa
Schweizerische Fachvereinigung Gebäudebegrünung
Uttingenstraße 75
CH-3661 Uetendorf
- http://tuprints.ulb.tu-darmstadt. de/5587/ (Dissertation, 2016).
- http://www.umwelt.nrw.de/fileadmin/redaktion/PDFs/klima/gutachten_fassadenbegruenung.pdf (Gutachten für das Land Nordrhein-Westfalen zur Förderung der Fassadenbegrünung, 2016).
- Publikation der Forschungsgemeinschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau 2014: Gebäude, Begrünung, Energie – Potenziale und Wechselwirkungen.[/tab]
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