Die Wärmewende ist eine interdisziplinäre Gemeinschaftsaufgabe. Auch Soziologen wie Simon Möller arbeiten daran, die Energieeffizienz im Immobiliensektor zu steigern. Wie er dabei vorgeht und wie er den Beitrag der Heizkostennovelle einschätzt, verrät er in einem Gespräch mit dem ModernisierungsMagazin.
Herr Möller, wie kommt ein Soziologe dazu, sich mit dem Thema Heizen zu befassen?
Mein Themengebiet ist in der Tat eher ungewöhnlich für einen Soziologen. Das verbindende Element ist der Klimaschutz und hier die Wärmewende sowie das Alltagshandeln. Ich schaue mir an, wie Menschen Heizen und Lüften. Was machen die Leute, um sich zuhause wohl zu fühlen und wie wirkt sich das auf den Energieverbrauch in Gebäuden aus?
Bisher lag der Fokus bei der Energiewende vor allem beim Strom – dem Ausbau erneuerbarer Energien, weg von Kohle- und Atomstrom. Jetzt kommt das Thema Wärme verstärkt in den Fokus und das wird höchste Zeit, denn Haushalte verbrauchen 70 Prozent der Endenergie für Raumwärme, 20 Prozent für Warmwasser und nur 10 Prozent für Strom. Es stellen sich die Fragen: Welchen Beitrag haben die Bewohner, welchen Beitrag leistet die Technik, wie läuft die Mensch-Technik-Interaktion, wie kann man hier ansetzen um zu sparen?
Wie gehen Sie vor bei der Suche nach Antworten?
Als Soziologe spreche ich mit Leuten in Interviews, ich frage, was sie zuhause machen. Wir erheben auch Messdaten, zum Beispiel über Temperaturen und leiten daraus ab, wie das für den Energiebedarf bedeutet und beschäftigen uns mit den Eigenheiten der Technologien sowie mit deren Umgang im Alltag.
Sind sich die Bewohner bewusst, wie sich ihr Verhalten auf den Energieverbrauch auswirkt?
Von der Antwort auf diese Frage hängt sehr viel ab. Viele Maßnahmen der Politik bauen darauf, dass die Leute sich dessen bewusst sind. Und wenn sie sich dessen nicht bewusst sind, dann soll dieses Bewusstsein hergestellt werden, um eine höhere Energieeffizienz zu erreichen.
So wie mit der verabschiedeten Novelle der Heizkostenverordnung, die zusätzliche Informationspflichten einführt?
Exakt! Die Überlegung dahinter ist: Die Leute handeln rational, sie wissen, was sie tun, und steuern entsprechend die Heizung beziehungsweise öffnen die Fenster. Man geht davon aus: Energie kostet Geld und die Leute wollen möglichst günstig Komfort herstellen. Dadurch ist der Anreiz zum Sparen gegeben und die Leute brauchen häufigere und bessere Rückmeldungen darüber, welche Kosten sie verursachen.
Diese Idee steckt auch in der Heizkostennovelle. Ich gebe den Leuten monatlich Rückmeldung, wieviel Energie sie verbrauchen, ich gebe ihnen Vergleichswerte und Informationen, damit sie es einordnen können und ihr Einsparpotenzial erkennen können.
Aus soziologischer Sicht gibt es aber Zweifel, dass das so funktioniert. Dafür verantwortlich sind mehrere Faktoren. Beispielsweise war Wärmeenergie in den letzten Jahren sehr günstig.
Müssten die Preise fürs Heizen weiter steigen, um die Klimaziele zu erreichen?
Das ist eine zweischneidige Sache: Man darf Klimaschutz nicht gegen soziale Gerechtigkeit ausspielen. Steigende Preise für Dinge, die unmittelbar lebensnotwendig sind oder die schwer zu beeinflussen sind, sind ein Problem. Gerade Menschen, die nicht so viel Geld haben, wohnen oft in Gebäuden, die schlechter gedämmt sind.
Was spielt außer den Kosten denn noch eine Rolle beim Heizverhalten?
Der wahrscheinlich wichtigste Faktor ist, dass sehr viele Tätigkeiten im Alltag routiniert ablaufen, ohne dass wir darauf viel Bewusstsein verwenden. Das gilt auch für Heizen und Lüften – wir öffnen Fenster oder das Thermostat, ohne groß darüber nachzudenken. Das ist verständlich und erleichtert den Alltag, wird aber zum Problem, wenn es darum geht, neue Informationen umzusetzen, denn allein durch Preisanreize und Informationen lässt sich Verhalten in der Regel nicht ändern. Viele Routinen sind relativ stabil. Und auch die Technologien wirken sich auf unser Verhalten aus.
Und genau das ist der Ansatzpunkt in einem Projekt gemeinsam mit Brunata-Metrona und der Westsächsischen Hochschule Zwickau. Diese beiden Partner haben eine Technologie entwickelt, die durch intelligente Steuerung Energie spart. Wir wollen die Menschen durch Technik in ihren Routinen unterstützen. Die Menschen sollen keine Komforteinbußen haben, sondern das Ziel ist, Routinen zu optimieren, vorausschauend zu denken mit Maschinenunterstützung.
Wer ist denn die Zielgruppe?
Wir gucken uns vor allem Mehrfamilienhäuser an, arbeiten in unseren Projekten viel mit kommunalen Wohnungsgesellschaften zusammen. Wohnungsgesellschaften haben in der Regel einen höheren Druck, Energieeffizienz voranzutreiben, denn als institutionelle Akteure, erreicht sie die Politik leicht mit Auflagen. Wohnungsgesellschaften decken auch das untere Mietsegment ab, wo es viel Sozialwohnungsbau gibt. Außerdem benötigen sie Lösungen für den Bestand. Dieser muss energieeffizienter werden. Das ist aufwendig, teilweise gibt es Probleme mit dem Denkmalschutz und den Kosten.
Wie kriegt man die unterschiedlichen Heizgewohnheiten in einem Mehrfamilienhaus unter einen Hut?
In Mehrfamilienhäusern hat die Wirksamkeit eines Sparappells Grenzen, denn teilweise arbeiten die Mieter – unabsichtlich – sogar gegeneinander. Einer ist schon bei 18 Grad Wohnungstemperatur glücklich und muss unter Umständen gar nicht heizen, da seine Wohnung vom Nachbarn mitgewärmt wird, der gerne 22 Grad hätte, diese aber wegen der kühlen Nachbarwohnung nur schwer erreicht. Wir sagen deshalb: Man muss ein solches Wohngebäude auch als Heizgemeinschaft verstehen.
Wo sehen Sie die größten Einsparpotenziale?
Es gibt verschiedene Effekte, die dazu führen, dass die Leute viel Energie verbrauchen. Wichtig ist natürlich die Gebäudetechnik. Aber auch das Verhalten ist entscheidend. Die Vorstellung, bei kalten Temperaturen schlafen zu wollen zum Beispiel ist eine gelernte, aber in energieeffizienten Gebäuden vermutlich energieintensive Angewohnheit. Viele Menschen wissen auch nicht, wie ein Thermostat funktioniert. Das klingt kurios, führt aber beispielsweise dazu, dass sie die Heizung voll aufdrehen, weil sie der Meinung sind, dass der Raum dann schneller warm wird. Oder jemand öffnet das Fenster, die Heizung läuft, was im ersten Moment egal ist, da der Heizkörper noch warm ist. Aber dann vergisst die Person, das Fenster wieder zu schließen und stellt erst eine halbe Stunde später fest, dass sie zum Fenster raus geheizt hat.
Solche Ereignisse sind für einen großen Teil des Heizenergieverbrauchs verantwortlich. Deshalb stellt sich die Frage, wie ich die Menschen dabei unterstützen kann, so etwas zu vermeiden.
Was ist Ihre Antwort?
Beispielsweise dadurch, dass ich automatisch erkenne, wenn ein Fenster geöffnet ist und deshalb die Heizung ausschalte. Oder ich lasse die Bewohner auf einem Bedienpanel ihre Wunschtemperatur für jeden Raum eingeben und das System stellt dann diese Temperatur her und hält sie, wenn sie einmal erreicht ist. Dadurch verhindere ich das Übersteuern, das bei manueller Heizung häufig auftritt.
Wenn ich dann noch einen Verbund sämtlicher Einzelsteuerungen im Gebäude schaffe, kann ich das Gesamtsystem optimieren. Sind beispielsweise fast alle Stellventile geschlossen, so ist das ein Zeichen für einen niedrigen Heizbedarf. In so einem Fall kann es sinnvoll sein, die Vorlauftemperaturen zu senken und dafür die Stellventile weiter zu öffnen.
Haben Sie schon Erfahrungen mit der Akzeptanz gemacht?
Wichtig ist, den Bewohnern ein Feedback zu geben. Wenn der Heizkörper nicht mehr so heiß wird, müssen sie stattdessen optisches oder akustisches Feedback bekommen, damit sie merken, dass das System tatsächlich arbeitet. In gewissem Sinne müssen auch die Systeme lernen, mit den Menschen zu kommunizieren und nicht nur umgekehrt.
Wir haben tatsächlich in unseren Projekten mit Bewohnern zu tun, die noch nie ein Smartphone in der Hand hatten. Wenn wir denen sagen, „Du steuerst jetzt die Heizung über ein Tablet“, dann macht das manchen Leuten Angst. Also muss ich sie ranführen und alles so gestalten, dass es sehr intuitiv und einfach ist.
Zusätzlich kann es natürlich sinnvoll sein, Vergleichswerte und Spartipps unterzubringen. Aber um es für die breite Masse nutzbar zu machen, halten wir es anfangs so einfach wie möglich.
Es ist extrem wichtig, bei der Entwicklung solcher Systeme in realen Settings Erfahrungen zu machen, denn es ist unmöglich im Labor alles vorherzusehen. Dieses Vorgehen ist zwar eigentlich typisch für technische Innovationen, fällt aber gerade Wohnungsgesellschaften mitunter schwer, weil die das nicht gewohnt sind.
Wir helfen bei der Entwicklung eines Systems, das in der breiten Masse funktionieren soll und auch Leute anspricht, die nicht technikaffin sind. Außerdem soll es offen sein, damit auch Dienstleister aus anderen Sparten es nutzen können und man flexibel ist auf neue Entwicklungen zu reagieren. Das System soll sich über die Energieeinsparung amortisieren, ist aber gleichzeitig ein erster Schritt zur Digitalisierung des Gebäudes, die dann im Sinne einer Multiserviceplattform weitere Services ermöglicht, beispielsweise altersgerechtes Wohnen (AAL).
Vielen Dank für das Gespräch!
Simon Möller ist seit 2018 als Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der LMU München tätig. Dort ist er in das vom BMU geförderte Forschungsprojekt „EffKom – Energieeffizienter Wohnkomfort: Nutzerorientierte Weiterentwicklung eines automatisierten Systems zur Steuerung von Raumwärme“ involviert. In enger Zusammenarbeit mit Ingenieuren und Wirtschaftsinformatikern liegen seine Interessen dabei vor allem in der nutzerorientierten Technologieentwicklung und der vertieften Datenanalyse zur Untersuchung der Mensch-Technik-Interaktionen und deren Auswirkungen auf den Energieverbrauch. Brunata-Metrona stattet als Technologiepartner dieses Projekt mit Digitalisierungstechnik aus. (Foto: privat)