Auf dem Weg zur Systemverantwortung/Beispiel aus Brandenburg
Bislang konnten Betreiber von Wind- und Solarparks wie auch Biogasanlagen ihren Strom beim jeweils zuständigen Netzbetreiber „abliefern“ – abgesichert durch die Einspeisevergütung des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes (EEG). Dieses simple Verfahren, bei dem die Betreiber nicht selbst als Akteure auf dem liberalisierten Strommarkt auftreten mussten, sorgte dafür, dass über 1,5 Millionen regenerative Stromerzeugungsanlagen entstanden. Es ermöglichte zugleich eine technologische Revolution, welche die erneuerbaren Energien heute mehr als konkurrenzfähig gegenüber den alten Verbrennungstechnologien gemacht hat. Aber es führte auch zur bekannten Belastung der Verteilnetze. Das EEG 2014 sieht nun vor, dass ab 2015 hinzukommende Erzeuger, Kleinanlagen bis 100 Kilowatt pro Stunden (kWh) ausgenommen, ihren Strom selbst vermarkten müssen. Diese Vorgabe markiert eine Entwicklung, bei der nicht mehr der rein quantitative Ausbau von Fotovoltaik-, Wind- und Biomasseanlagen im Fokus steht, sondern der Umbau der Strominfrastruktur insgesamt.
Die Diskussion um das EEG 2014 war zum Teil von den Ängsten geprägt, die Erneuerbaren könnten den Konkurrenzkampf mit den Fossilen verlieren. Vielen Protagonisten war nicht bewusst, dass ein quantitativer Ausbau alleine nicht zum Erfolg der Energiewende führen wird. Solange die Steuerung des Stromsystems durch fossile Großkraftwerke, also durch die rotierenden Massen von deren Turbinen abgesichert wird, können die erneuerbaren Stromerzeugungsanlagen nur die Rolle des kleinen Bruders spielen. Dieser könnte zwar billigen Strom liefern, hätte aber ansonsten nichts zu melden.
Der Sprung in die Systemverantwortung könnte nur mit qualitativ neuen Systemen gelingen, darüber waren sich vorausschauende Entwickler und Wissenschaftler bereits vor der EEG-Novelle im Klaren. Schon lange davor hatte der für die Entwicklung der erneuerbaren Energien typische Wettlauf eingesetzt, der nicht zum ersten Mal dazu führte, dass parallel zur gesetzlichen „Verschärfung“ des EEG die neue Technologie zur Auflösung dieser Situation längst erarbeitet war.
Von der Einzelanlage zum CO2-neutralen Kraftwerk
Das Verbundkraftwerk, das die Berliner Parabel GmbH aktuell im brandenburgischen Prignitz entwickelt, stellt einen neuen Typus von Kraftwerk dar. Als rein regeneratives Kraftwerk wird es erstmals über alle Funktionalitäten verfügen, wie sie auch konventionelle Kraftwerke haben. Es kann als flexibel regelbare Einheit nicht nur Wind-, Fotovoltaik- und Biosgasanlagen samt Batteriespeichern kombinieren, sondern deren grünen Strom direkt in das 380-Kilovolt-Übertragungsnetz integrieren und vermarkten. Diese Einspeiseebene war bislang nur fossilen Großkraftwerken vorbehalten, die mit Kohle, Kernkraft oder Erdgas betrieben werden. Das wird nun anders.
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Neubau des 380/110-Kilovolt-Umspannwerks Freyenstein
- Netzanschlusszusage über viermal 400 MVA und Anschlusserrichtervertrag liegen vor
- Genehmigung nach BImschG liegt vor
- Erster Bauabschnitt einmal 400 MVA mit 110 und 30-Kilovolt-EE-Anschlüssen
- Die technischen Planungen sind abgeschlossen, geplanter Baubeginn Ende Q1/2015
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Die Region Prignitz gilt als eine der windstärksten in Deutschland und ist in Sachen erneuerbare Energien bereits stark entwickelt. Im nördlich angrenzenden Teil Mecklenburg-Vorpommerns verhält es sich ähnlich. In beiden Bundesländern soll die Entwicklung aber weitergehen. Damit verbundene Netzengpässe und die Frage der Netzstabilität stellen für die Verteilnetzbetreiber insofern ein Problem dar, als sie immer nur im Nachgang auf Veränderungen in der Erzeugungsstruktur reagieren können.
Entsprechend seines gesetzlichen Auftrags kann ein Netzbetreiber, wie die für das nördliche Brandenburg zuständige Edis AG, nicht schon vorab durch einen Netzausbau die Energiestrategie eines Lands abbilden. Aus heutiger Sicht bedeutet dies, dass ein Ausbau der Verteilnetze erst mittelfristig möglich sein wird. Dahinter verbirgt sich nicht nur das Umsetzungsproblem eines Bundeslands; dies gilt bundesweit für alle Netzregionen und trifft alle investitionsbereiten Solar- und Windparkprojektierer.
Problemlösung Verbundkraftwerk
Um aus dem Dilemma der Engpässe bei den Verteilnetzen herauszukommen, entwickelte Parabel das Konzept des Verbundkraftwerks. „Nach unseren Erfahrungen in der Region Prignitz, wo wir bereits Solarkraftwerke mit Erdkabeltrassen und Umspannwerken gebaut haben, war uns früh klar, dass für kommende Erneuerbare-Energien-Projekte der Schritt auf die nächsthöhere Einspeiseebene, also ein direkter Anschluss an die Höchstspannungsnetze, die beste Lösung sein würde“, erklärt Holger Ruletzki, Geschäftsführer der Parabel GmbH, die Zielrichtung seines Unternehmens. Nur so könnten die anfallenden Strommengen ohne weiteren Verteilnetzausbau abtransportiert werden, zum Beispiel in die Region Berlin. Zugleich würde diese neue Ebene auch Kooperationen auf einem neuen Niveau ermöglichen.
Das Verbundkraftwerk bietet Vorteile in mehrfacher Hinsicht. Es ist eine Lösung, der es gelingt, Erneuerbare-Energien-Zubau, Netzausbau und Systemverantwortung unter einem Dach zu vereinen. Bislang wird die regenerative Stromerzeugung in singulären Anlagen und Parks gefahren, die technisch wie wirtschaftlich unabhängig voneinander betrieben und jeweils separat an das Netz der öffentlichen Versorgung angeschlossen werden. Im Verbundkraftwerk werden solche Anlagen zukünftig über separate Einspeisenetze, die erdverlegt sind, mit einem Netzverknüpfungspunkt (Umspannwerk) verbunden. Ihr Strom kann gebündelt und zielgerichtet eingesetzt, sprich verkauft werden, ohne die überlastete Ebene der Verteilnetze in Anspruch nehmen zu müssen. Verbundkraftwerke sind ein Beitrag zur Minimierung der Landschaftsverkabelung, was sich zugleich positiv auf die Netzentgelte auswirken wird.
Die übergeordnete Regelungs-Software des Verbundkraftwerks ermöglicht die flexible Bereitstellung von größeren Energiemengen auf der Übertragungsnetzebene. Kurzzeitige Leistungsspitzen werden vermieden, und es kann erzeugungs- und nachfrageorientiert produziert und einspeist werden. Der bisherige Nachteil der fluktuierenden Sonnen- und Windenergie wird zum großen Teil aufgehoben. Kombiniert mit Biogasanlagen und modernen Batteriespeichern entsteht eine Einheit, deren Eigenschaften neu sind: Flexibilität, Planbarkeit, Stabilität und Wirtschaftlichkeit. Qualitäten, über die Erneuerbare-Energien-Einzelanlagen nicht verfügen.
Systemdienstleistungen und Vermarktungskonzept
Das Prignitzer Verbundkraftwerk bietet eine planbare, sichere und wirtschaftliche Kraftwerkskapazität. Sie zeichnet sich durch hohe Volllaststunden, minutengenaue Stromerzeugung und die Möglichkeit aus, sowohl im Grundlastbereich als auch in der Regelenergie zu fahren. Diese Fähigkeit zu Systemdienstleistungen macht das neue Verbundkraftwerk den fossilen Kraftwerken ebenbürtig. Damit bietet es auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht die erforderliche Grundlage zur Teilnahme an den Stromhandels- und Regelenergiemärkten.
Zwar muss jeder Erneuerbare-Energien-Anlagenbetreiber, der sich am Verbundkraftwerk beteiligt, auch hier Eingriffe in die Fahrweise seiner Anlage akzeptieren. Er eröffnet sich aber durch eine gebündelte Vermarktung der Energie zusätzliche Mehrerlöspotenziale. Das Verbundkraftwerk ermöglicht bislang singulär betriebenen Anlagen, zum Beispiel auch Blockheizkraftwerken, die Marktintegration sowie eine optimierte Teilnahme an den Handelsmärkten.
In der Region Prignitz sind laut Netzausbauplanungen zwei neue Umspannwerkstandorte vorgesehen. Einer davon wird nun durch die Umspannwerk Freyenstein GmbH (UWF) in der Gemeinde Wittstock/Dosse realisiert und betrieben werden. Die Projektentwicklung erfolgt durch die Parabel GmbH. Der Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz Transmission GmbH hat der UWF eine Netzanschlusszusage von 1600 MVA für das Verbundkraftwerks erteilt. Die Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) wurde im Mai 2014 ausgestellt.
Erfahrung aus fünf Jahren virtuelles Kraftwerk
Für den laufenden Betrieb sieht Parabel die Beteiligung des erfahrenen Stromhändlers Energy-2-Market GmbH (E2M) aus Leipzig, vor. Dieser Partner soll die Vermarktung des Stroms aus dem Verbundkraftwerk übernehmen. Dahinter steht nicht nur der Vermarktungszwang des EEG 2014. Erst die Verbindung eines mit 20 Jahren Erfahrung ausgestatteten Anlagenbauers und Projektierers mit einem an den Strombörsen zugelassenen Stromhändler, der durch den Betrieb eines eigenen Virtuellen Kraftwerks seinerseits über fundierte Erfahrung bei der digitalen Vernetzung von Einzelanlagen verfügt, bietet die Expertise für diesen neuen Anlagentyp.
Energy-2-Market GmbH betreibt seit fünf Jahren das virtuelle Kraftwerk und verfügt neben der IT-Infrastruktur und der Zulassung als Stromhändler über eine fundierte Marktkenntnis. Seit 2012 nimmt E2M am Markt für Sekundärregelleistung teil und ist mittlerweile in allen vier deutschen Regelzonen als Anbieter zugelassen. Seit Dezember vergangenen Jahres ist E2M zur Bereitstellung von Primärregelleistung aus dezentralen Erzeugungsanlagen präqualifiziert. Als zweitgrößter Direktvermarkter in Deutschland steuert E2M inzwischen mehr als 2000 dezentrale Anlagen mit über 3400 Megawatt installierter Leistung.
Auch wenn es dem virtuellen Kraftwerk gelingt, problemlos unterschiedlichste Anlagentypen und Motorentechnologien einzubinden und im Alltagsgeschäft ungenutzte Leistungspotenziale zu vermarkten, so bleibt es nach wie vor mit den Engpässen bei den Verteilnetzen konfrontiert. Viele potenzielle Standorte für Solar- und Windstromerzeugung liegen in Gebieten mit Verteilnetzen, deren Kapazität ausgelastet ist oder in denen die Erzeugung den Bedarf übersteigt, konstatiert man auch bei E2M. Daher sieht Andreas Keil im Verbundkraftwerk den „nächsten Evolutionsschritt in der Weiterentwicklung der Energiewende“.
Mit diesem zukunftsweisenden Anlagentyp lassen sich Netzkapazitäten bestmöglich nutzen, meint Keil. Er biete erstmals die Chance, dass „Zusammensetzung und Erzeugungsverhalten der beteiligten Erzeugungsanlagen so gestaltet werden, dass der Netzverknüpfungspunkt die Eigenschaften eines Großkraftwerks annimmt“. Denn ein Verbundkraftwerk kann punktuell gesteuert werden und zielgerichtet auf Markt- und Netzbedürfnisse reagieren, durchaus flexibler als herkömmliche Großkraftwerke.
Das Verbundkraftwerk entstehe als neues Geschäftsmodell. Es biete für die angeschlossenen Erzeuger einen überschaubaren Entwicklungspfad mit zusätzlichen Potenzialen zur Erlösverbesserung aus der kontinuierlichen und zielgenaueren Produktion. Die höhere Verfügbarkeit verbessere die Vermarktungsbedingungen und reduziere die Vermarktungsrisiken. Mithin eine Win-win-Situation für alle Beteiligten, inklusive der Verbraucher, erwartet Keil mit Blick in die Zukunft.