Boomende Großstädte auf der einen, abgehängte Abwanderungsregionen auf der anderen Seite: Die Unterschiede zwischen Stadt und Land werden in Deutschland immer größer. Die gleichwertigen Lebensbedingungen stehen bundesweit auf dem Spiel. „Um die Lebensqualität in Deutschland flächendeckend und langfristig zu sichern, brauchen wir eine neue Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe Ländliche Räume“, erklärte Axel Gedaschko, Präsident des Spitzenverbands der Wohnungswirtschaft GdW, zum Auftakt des Tags der Wohnungswirtschaft in Berlin. Hierfür sei auch eine gut ausgestattete Städtebauförderung mit starker wohnungswirtschaftlicher Komponente notwendig. „Ziel einer neuen Raumordnungspolitik muss es sein, stabile Mittelstädte in ganz Deutschland zu identifizieren und diese durch ein attraktives Orts- und Stadtbild zu zukunftsfähigen Ankerstädten zu machen“, fügte Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur, hinzu. Diese Ankerstädte seien als zentrale Wohn-, Handels- und Kommunikationsstandorte mit Ausstrahlwirkung auf ihr Umland grundlegendes Element für das Entstehen nachhaltig lebendiger Wohn- und Lebensstandorte.
Demografische Spaltung Deutschlands verhindern
Abwanderung insbesondere junger Menschen betrifft praktisch flächendeckend alle ländlichen Räume in Deutschland. Und das, obwohl die schrumpfenden Regionen heute in weiten Teilen durchaus wirtschaftlich stark sind und verbreitet eine arbeitsmarktbedingte Abwanderungsnotwendigkeit nicht existiert. Vielmehr klagen die dortigen Unternehmen über Fach- und Arbeitskräftemangel, der sich aufgrund der Abwanderung beständig verschärft. Die Entleerung ländlicher Räume lässt sich also nicht mit dem oft beschworenen Dreiklang von Arbeitslosigkeit, Armut und Abwanderung erklären. Ursache ist vor allem eine Spätfolge der demografischen Entwicklung: Die infolge des Pillenknicks schwächer besetzten Geburtsjahrgänge seit den 1970er-Jahren waren die ersten, die sich in den sogenannten Schwarmstädten konzentriert haben, wodurch die Dichte an Gleichaltrigen annähernd gleichmäßig über Deutschland gesunken ist. In den Schwarmstädten herrscht dagegen Urbanität, Vielfalt, Dichte und Lebendigkeit.
Die Folge ist auch ein neues Pendlermuster: morgens aus der Schwarmstadt zum Arbeitsplatz und abends wieder hinein. „Um die demografische Spaltung Deutschlands, schrumpfende Einwohnerzahlen in ländlichen Räumen und den Verlust der regionalen Kultur zu verhindern, brauchen wir Ankerstädte. Diese gilt es strukturell zu stärken und baukulturell aufzuwerten“, erklärte Nagel. Darunter sind diejenigen Städte zu verstehen, die ihre historische Funktion als zentraler Handels-, Kommunikations- und Begegnungsraum in den vergangenen Jahrzehnten erhalten und ausgebaut haben.
Polyzentralität zum Leitbild machen
„Polyzentralität muss in Deutschland zum Leitbild werden“, forderte Gedaschko. „Wohnstandorte sind langfristig nur attraktiv, wenn die Versorgung mit Einkaufsmöglichkeiten, die medizinische Infrastruktur, kulturelle Einrichtungen und Bildungsangebote vorhanden sind.“ Dafür müssten Raumordnung und Regionalplanung neu ausgerichtet und gestärkt werden. „Wir brauchen geeignete Förderstrukturen, um die Attraktivität der Abwanderungsregionen zu stärken und dadurch den Zuwanderungsdruck auf die Metropolen abzuschwächen“, so der GdW Chef. Nur so könne die Wohnungswirtschaft den zunehmenden Spagat zwischen Wohnungsknappheit in den Metroplregionen und Leerständen in den ländlichen Räumen bewältigen. Angesichts der bevorstehenden zweiten Leerstandswelle in Ostdeutschland sei auch Abriss in demografisch schrumpfenden Regionen in den nächsten Jahren unverzichtbar.
„Ortsspezifisches Bauen stärkt die lokale Identität“, so Nagel. Die Ortskerne in ländlichen Räumen müssen gestärkt und dafür die wesentlichen Infrastrukturen und die verfügbaren Investitionsmittel zugunsten der Ortsmitte gebündelt werden. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die wohnungspolitische Förderung des Bunds sollten deshalb auf integrierte Lagen ausgerichtet werden: für Kauf und Sanierung, Bestandsumbau sowie Ergänzungs- und Ersatzneubau. „Ankerstädte brauchen eine aktive Bodenpolitik“, sagte Gedaschko. Dafür seien stärkere Eingriffsrechte bei der Stadtentwicklung als bisher notwendig. So sollte zum Beispiel das Zusammenlegen von zu kleinen Grundstücken sowie die Bereinigung nicht mehr funktionsfähiger Grundstücksflächen und Gebäudegrundrisse ermöglicht werden. Die Kommunen sollten ihr Vorkaufsrecht in besonderen Lagen häufiger einsetzen und mithilfe revolvierender Bodenfonds Entwicklungen in Gang setzen.
Den kompletten Beitrag finden Sie im ModernisierungsMagazin 12/2017!