Die Corona-Pandemie rechtfertigt regelmäßig keine Beschränkung der Personsanzahl auf einer Eigentümerversammlung auf einen Wert unterhalb der teilnahmeberechtigten Eigentümer inklusive Verwalter. Spricht die Einladung zu einer Versammlung ohne ausreichende Rechtfertigung eine solche Beschränkung aus, so sind die auf der Versammlung getroffenen Beschlüsse wegen Eingriffs in den Kernbereich des Wohnungseigentums nichtig. Vorrangig ist ein Raum zu organisieren, in dem die Vorgaben der landesrechtlichen Corona-Schutzverordnungen eingehalten werden können.
Der Fall
Die Parteien des Rechtsstreits bilden eine Wohnungseigentumsgemeinschaft mit 13 Eigentumseinheiten, die im Eigentum von 11 Personen stehen. Mit Schreiben vom 06.07.2020 lud die Hausverwaltung zur Eigentümerversammlung auf den 22.07.2020. Im Einladungsschreiben formulierte die Verwaltung wie folgt:
„Aufgrund der Größe der Sitzungsräume muss die Anzahl der anwesenden Eigentümer bei dieser Versammlung beschränkt werden (10 Personen inkl. Verwalter). Erteilen Sie deshalb möglichst dem Verwaltungsbeirat oder der Verwaltung die Vollmacht für die Teilnahme an der Versammlung. […] Der Verwalter behält sich vor, die Versammlung nicht durchzuführen, sofern die Höchstzahl der Anwesenden überschritten wird und keine einvernehmliche Regelung am Versammlungstag dazu getroffen werden kann.“
In der Versammlung erfolgte zum Tagesordnungspunkt 9 eine Beschlussfassung über den Anstrich der Gebäudefassade inklusive Algenschutz. Diese Beschlussfassungen hat die Antragstellerin im parallelen Hauptsacheverfahren angefochten, dessen Entscheidung noch nicht getroffen ist. Die zuständige Hausverwaltung kündigte an, ab September 2020 den Beschluss umsetzen zu lassen. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die konkret beschlossene Maßnahme unter den Gesichtspunkten des Gesundheitsschutzes und des Umweltschutzes tauglich ist. Im Wege der einstweiligen Verfügung begehrt die antragstellende Eigentümerin die Aussetzung der Vollziehung des von ihr in einem gesonderten Verfahren angefochtenen Beschlusses der Eigentümerversammlung.
Die Entscheidung
Das zuständige Amtsgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stattgegeben. Die Antragstellerin hat damit einen Anspruch auf Aufschub der Vollziehung der von ihr in dem Parallelverfahren angefochtenen Beschlussfassung der Eigentümerversammlung. Es kommt laut der Begründung des Gerichts im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob das Vollziehungsinteresse bezüglich des angefochtenen Beschlusses das Aussetzungsinteresse überwiegt, da der angegriffene Beschluss nicht lediglich anfechtbar ist, sondern nichtig im Sinne des § 23 Abs. 4 S. 1 WEG.
Das Gericht führt aus, dass die Nichtigkeit eines Beschlusses unter anderem dann vorliege, wenn ein Verstoß gegen Grundsätze des Wohnungseigentumsrechts oder in den Kernbereich des Wohnungseigentums eingegriffen werde. Ein solcher Eingriff liege insbesondere dann vor, wenn die Mitwirkungsrechte eines Wohnungseigentümers ganz oder teilweise diesem entzogen werden, obwohl es sich um unentziehbare Rechte handele. Das Teilnahmerecht und Stimmrecht eines Wohnungseigentümers dürfen allenfalls ausnahmsweise eingeschränkt werden. Der in der Einladung erteilte Hinweis, dass eine Vertretung durch einen bevollmächtigten anderen Teilnehmer, etwa Verwaltungsbeirat oder Verwalter, grundsätzlich möglich ist, könne laut Gericht nicht dazu führen, dass ein Wohnungseigentümer zur Erteilung einer entsprechenden Vollmacht gezwungen werde. Auch der weitere Hinweis, dass im Falle einer einvernehmlichen Verständigung der anwesenden Wohnungseigentümer auf eine anderweitige Regelung der Teilnehmerzahl die Versammlung durch den Verwalter durchgeführt wird, ändere daran nichts. Es komme vielmehr darauf an, ob im Vorfeld der Versammlung durch die Einladung ein Druck erzeugt werde, von der Teilnahme Abstand zu nehmen. Die derzeit herrschende Corona-Pandemie rechtfertige ein derartiges Vorgehen nach den Ausführungen des Gerichts jedenfalls nicht. Denn zum Zeitpunkt der Einladung und der Versammlung sei die Durchführung einer solchen Veranstaltung nicht von vornherein untersagt gewesen, wenn geeignete Schutzmaßnahmen vorhanden sind. Ferner wäre die Anmietung eines geeigneten größeren Raumes geboten und zumutbar gewesen, um sämtlichen Wohnungseigentümern die Teilnahme an der Versammlung zu ermöglichen, ohne dass die Sorge vor den coronabedingten Einschränkungen bestehe. Aus diesem Grunde sei der Erlass einer einstweiligen Verfügung geboten gewesen, da ansonsten der Vollzug der zum Tagesordnungspunkt 9 der Versammlung vom 22.07.2020 beschlossenen Maßnahme drohe.
AG Kassel, Urteil vom 27.08.2020 – 800 C 2563/20
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