Passau ist aufgrund der Lage an den drei Flüssen Donau, Inn und Ilz eine der schönsten Städte Deutschlands. Und sie zahlt einen hohen Preis dafür, schon immer. In der Altstadt von Passau liegt das Ufer, die Donaulände, etwa 4,5 Meter über dem normalen Wasserstand bei einem Pegel von 9 Metern. Erreicht dieser bei extremem Hochwasser wie 2013 knapp 13 Meter, müssten schützende Wände vier Meter hoch sein und hätten die Dimension von Gefängnismauern. Das aber wollen selbst die betroffenen Einheimischen nicht. Im Jahr 2014 verständigte man sich auf eine Machbarkeitsstudie für mehrere Uferabschnitte. Die Hochwasserschutzlinie Lindau im Stadtteil Grubweg ist eine von sechs, die realisiert werden können. Sie verläuft nach Fertigstellung überwiegend entlang der Bundesstraße B 388, ist seit Februar 2020 im Bau und wird voraussichtlich 2023 fertig. Vorhabenträger ist der Freistaat Bayern. Die Gesamtkosten betragen gemäß Stand Dezember 2021 etwa 28,8 Millionen Euro für den Abschnitt Lindau. Baudirektor Siegfried Ratzinger, stellvertretender Behördenleiter des Wasserwirtschaftsamtes (WWA) Deggendorf, leitet den Hochwasserschutz und vertritt die Bauherrschaft vor Ort.
Naturgewalt trifft auf technische Raffinesse
Hochwasserschutz findet vor allem unterirdisch statt. Tatsächlich schotten im Abschnitt Lindau, unter der fast einen Kilometer langen Mauer, Spundwände den Untergrund ab. Damit sind die Voraussetzungen geschaffen, um darauf die über dem Gelände sichtbaren ein bis dreieinhalb Meter hohen Betonfertigteile zu platzieren und zu einer durchgehenden Hochwasserschutzwand zu verbinden. Unterbrochen ist diese Wand dort, wo Straßen, Werkszufahrten und die Eisenbahnlinie queren. An solchen Stellen wird die Lücke in der Wand im Ernstfall mit mobilen Verschlüssen in Form von Aludammbalken geschlossen.
Mit Betonfertigteilen eine Hochwasserschutzwand zu bauen stellt eine neue Bauweise dar, mit der der Bauablauf optimiert werden kann. Statt Ortbeton für die 950 Meter lange Wand zu verwenden, greift die ausführende Firma Mayerhofer aus Simbach/Inn auf Fertigteile zu, die vom Subunternehmer Glatthaar Starwalls hergestellt und bei Anforderung der Bauleitung kurzfristig geliefert und montiert werden.
„Ein Ingenieurbauwerk ist wie ein maßgeschneiderter Anzug: Dafür wird exakt Maß genommen, sorgfältig überlegt, edles Material verwendet und das Ganze mit handwerklichem Können zusammengesetzt“, sagt Mark Biesalski, Geschäftsführer des Herstellers Glatthaar Starwalls in Schramberg/Schwarzwald. Er bezeichnet seinen Betrieb gerne als eine Manufaktur, die die Flexibilität des Handwerks mit der Automation einer industriellen Fertigung verbinden kann. Gute Referenzen hat sich sein Betrieb in den letzten Jahren vor allem im Straßenbau erworben, mit Hangstützwänden aus Fertigteilen, inklusive Vorsatz aus Naturstein der jeweiligen Region. Die Vorteile der Fertigteilbauweise sind im Straßenbau wie beim Hochwasserschutz dieselben: Die höhere Qualität der Bauteile bei gleichen oder geringeren Investitionskosten, die deutlich kürzere Bauzeit und in der Folge die Entlastung bei Verkehrsteilnehmern und Anwohnern – wenn Baulärm, Baustellenverkehr, Streckensperrung und Umleitung früher, das heißt mit einer Zeitersparnis von 30 bis 50 Prozent, beendet sind. Siegfried Ratzinger, Bereichsleiter Hochwasserschutz im WWA Deggendorf, hat in Kenntnis dieser Aspekte von Anfang an die Fertigteilbauweise bei diesem Projekt befürwortet.