Bankenkrise, Finanzkrise, Coronakrise, Lieferkettenkrise, Materialkrise, Energiekrise, Klimakrise, Wohnungsmangel, Fachkräftemangel und so weiter und so fort. Seit Jahrzehnten jagt gefühlt eine Krise die nächste. Und die Reaktionen darauf sind immer gleich: Bürger, Lobbyisten und Verbände rufen nach Vater Staat. Er soll es richten, wenn nicht alles nach Plan läuft. Und der deutsche Staat liefert. Seit Jahrzehnten. Selbst einstmals ideologische Tabus sind längst keine mehr. Da verstaatlicht eine CDU-geführte Regierung (!) eine taumelnde Bank, die SPD-geführte übernimmt Gasgroßhändler, üppige Förderungen werden über jeden ausgeschüttet, der schon was hat, Pandemiehilfen werden gezahlt, Kündigungs- und Insolvenzrecht ausgesetzt, Einmalzahlungen an alle Bürger und vieles mehr. Staatliche Rundumversorgung für alle.
Und noch immer reicht es nicht. Bürger, Verbände und Interessenvereinigungen reagieren bei jeder neuen Krise reflexartig wie der Pawlowsche Hund: Lieber Staat, gib uns und beschütze uns, denn wir leiden unter Diesem und Jenem. Das ist zwar verständlich, führt uns jedoch gesellschaftlich in eine Sackgasse. Heute ist in Deutschland die Vollkaskomentalität Trumpf. Jeder fordert die Rundum-Absicherung gegen jedes Risiko des Lebens. Und so haben wir uns ein Regelwerk aus Gesetzen, Regelungen und Verordnungen geschaffen, das Weiterentwicklung und Eigenverantwortung hemmt, statt sie zu fördern.
Mehr Eigenverantwortlichkeit – auch in Krisen
Die Folge ist eine satte Gesellschaft, in der immer weniger Menschen bereit sind, Führung zu übernehmen und Risiken einzugehen. Dabei genügt denjenigen, die noch Zeitung lesen, ein Blick auf die Seite mit den Todesanzeigen, um zu erfahren, dass das Leben seine Risiken birgt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich müssen wir soziale Härten abfedern und dafür sorgen, dass in Deutschland auch Menschen unterhalb der Armutsgrenze ihr Auskommen haben. Aber wir dürfen uns auch wieder daran erinnern, dass jeder Mensch eine Eigenverantwortlichkeit besitzt. Der Mensch wächst in Krisen, nicht in der Komfortzone. Das gleiche gilt für Unternehmen. Wenn der Staat jede Krise abfedert und sich gleichzeitig zu Tode regelt, wo bleibt dann die Entwicklungsmöglichkeit, wo das unternehmerische Wachstum? Im Versuch, alles richtig zu machen und an jede Eventualität zu denken, haben EU, Bund und Länder eine Flut von Gesetzen, Verordnungen und technischen Vorschriften erzeugt, die jede Entwicklung lähmt. 1778 Bundesgesetze und 2821 Bundesverordnungen sind derzeit in Kraft. Viele der Regelungen sind notwendig, andere rauben Bürgern, Betrieben und Kommunen – denn die müssen sie umsetzen – vor allem Zeit, Nerven und Geld. Statt Unternehmen und Bürger zu entlasten, verschärft der Staat die Anforderungen immer weiter. Am Ende steht der gesellschaftliche Stillstand. Sinnbild dafür ist der Wohnungsbau.
Es ist längst kein Geheimnis, dass die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft vor der schwersten Krise seit Jahrzehnten steht. Das berichten übereinstimmend der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB) und der Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). In den kommenden zwei Jahren wird nach einer Umfrage des BFW das Projektvolumen um 60 Prozent sinken. Verkauf und Vermarktungsaktivitäten sind fast komplett zum Erliegen gekommen. Besonders betroffen von der Entwicklung sind gefragte Großstädte wie Berlin. Laut statistischem Bundesamt ist die Zahl genehmigter Wohnungen von Januar bis Oktober 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 4,7 Prozent gesunken. Die Baugenehmigungen im Neubau sind von Januar bis Oktober 2022 sogar um 15,9 Prozent. Dieser Trend wird sich Experten zufolge 2023 weiter fortsetzen.
Baukosten zwischen 2004 und 2016 um 33 Prozent gestiegen
Hohe Bau-, Energie- und Materialkosten, gestiegene Zinsen, langwierige Bau- und Planverfahren, ein sehr enger rechtlicher Rahmen und eine inkonsistente soziale Wohnungsbauförderung haben zum Niedergang geführt. Die Baukosten in Deutschland sind zwischen 2004 und 2016, also vor Corona, Zinsanstieg und Inflation, um 33 Prozent gestiegen. Bei den Niederländern sind es nur 6 Prozent. Die Verkehrswende und der Klimaschutz werden das Wohnen weiter verteuern, wenn der Gesetzgeber weitermacht wie bisher. Was die am Wohnungsbau beteiligten Branchen brauchen, ist nicht nur weniger Staat, sondern vor allem weniger Regelungen. Bauland muss beschleunigt ausgewiesen, Bauvorhaben zügig bearbeitet und genehmigt, bürokratische Hürden müssen abgebaut und die Regelungen insgesamt vereinfacht werden. Kurz: alle Prozesse rund um das Bauen und Umnutzen müssen auf den Prüfstand, bundesweit vereinheitlicht und verschlankt werden.
Eine wichtige Maßnahme zur Deregulierung des Baurechts wäre die Zusammenführung der Landesbauordnungen in eine Musterbauordnung. Aufgrund der vielen und immer stärker interpretierbaren Regelungen wird das Baurecht heute viel zu oft faktisch von Gerichten ausgeübt. Weniger und klarere Regelungen bringen Rechtssicherheit. Ein weiteres Hindernis ist zum Beispiel die Genehmigungspraxis bei den Bauämtern. Wenn der Eigentümer eines Gebäudes die Genehmigung eines Dachausbaus oder eine Aufstockung beantragt, prüfen viele Bauämter das gesamte Gebäude erneut und erteilen die Baugenehmigung unter Auflagen zu Nachbesserungen im Bestand. Nicht nur der Ausbau und seine direkten Auswirkungen, sondern das gesamte Gebäude soll so nachträglich auf den neuesten Stand des Baurechts gebracht werden. Durch diese Praxis werden viele Bauprojekte ausgebremst, weil das Bauvorhaben komplizierter und deutlich teurer gemacht wird, was die finanziellen Mittel vieler Bauwilligen übersteigt. Auch braucht man heute häufig verschiedene Genehmigungen auch für kleine Bauvorhaben, weil alle Rechtsgebiete berücksichtigt werden müssen. Das verzögert den Genehmigungsprozess enorm.
Es ist höchste Zeit, umzudenken und das deutsche Rechts- und Normungswesen samt seiner Regulierungen auf den Prüfstand zu stellen. Weniger Staat heißt aber auch mehr Eigenverantwortlichkeit: beim Gesetzgeber, beim Bürger, beim Unternehmen. Das mag in einer Zeit vom Gesetz zur temporären Senkung des Umsatzsteuersatzes, dem CO2-Kostenaufteilungsgesetz, dem Energiesicherungsgesetz, dem Energiewirtschaftsgesetz, dem Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz und dem Strompreisbremsengesetz wie ein frommer Wunsch erscheinen – aber man wird ja wohl noch träumen dürfen.
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