An Krisen herrscht in den letzten Jahren kein Mangel. Auf Finanz- und Wirtschaftskrise folgte die Corona-Krise mit zerbrechenden Lieferketten und Materialknappheit. Wohnraummieten und Zinsen steigen kräftig, die Teuerungsrate wird bald zweistellig. Laut Städte- und Gemeindebund droht ein frostiger Winter mit Strom-Blackouts und Gasmangel. Um es mit Shakespeares Richard III. zu sagen: „Now ist the Winter of our discontent!“
Seit Anfang der 2000er Jahre geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aus einander. Was einst der soziale Kitt unserer Gesellschaft war, bröselt nun zunehmend. Dem Statistischen Bundesamt zufolge waren 2021 in Deutschland rund 13 Millionen Menschen armutsgefährdet. Das entspricht knapp 16 Prozent der Bevölkerung. 2021 lag dieser Schwellenwert für alleinlebende Menschen bei etwa 15.000 Euro netto im Jahr. Stark steigende Preise für die Lebenshaltung beschleunigen die Entwicklung weiter. Zurzeit versorgen die Tafeln in Deutschland mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland mit Lebensmitteln.
Einer Analyse des Heizspiegels zufolge sind die Kosten für Gas, Öl und Strom bereits im Jahr 2021 stark gestiegen. Für eine durchschnittliche 70 Quadratmeter-Wohnung mit Gasheizung fallen für das vergangene Jahr Mehrkosten in Höhe von 135 Euro (plus 20 Prozent) an. Für das laufende Jahr geht die Analyse von einer Steigerung um noch einmal 550 Euro (plus 67 Prozent) aus. Heizen mit Gas wird innerhalb von zwei Jahren doppelt so teuer. Wer eine Ölheizung nutzt, muss sogar 130 Prozent mehr zahlen. Auch mit Fernwärme, Wärmepumpe und Holzpellets ist für beide Jahre mit höheren Heizkosten zu rechnen.
Zahl der Sozialwohnungen auf dem Tiefststand
Sozialverbände rechnen damit, dass die Zahl der Obdach- und Wohnungslosen in diesem und den Folgejahren noch einmal deutlich zunimmt. Zum Jahresbeginn schätzte die BAG Wohnungslosenhilfe die Zahl der wohnungslosen auf 256.000 im Jahr 2020 gestiegen. Die Jahresgesamtzahl aller wohnungslosen Menschen liegt sogar bei rund 417.000, also einem halben Prozent der Gesamtbevölkerung.
Bei einer derart prekären Lage sollte man meinen, dass eine soziale Marktwirtschaft der Größe Deutschlands mit dem Bau von Sozialwohnungen entgegensteuert. Doch das Gegenteil ist der Fall. Der Bestand an Sozialwohnungen hat sich in den Jahren 2019 und 2020 weiter reduziert. Seit 2017 ist der Sozialwohnungsbestand um 90.000 Wohnungen geschrumpft. Seit 2005 wird der Soziale Wohnungsbau stark vernachlässigt. Im Jahr 2013 ist mit nur 14.000 neuen Sozialwohnungen der absolute Tiefpunkt in der Geschichte des Sozialen Wohnungsbaus erreicht.
Erst als der Bund 2015 die Kompensationsmittel für das beschleunigte Asylverfahren erhöht, steigen die Neubauzahlen wieder. Mit rund 9% Sozialwohnungen – bei 16% Armutsgefährdeten – ist der Anteil am gesamten Wohnungsbau allerdings weiterhin niedrig. Seit Jahrzehnten fallen mehr Wohnungen aus der Sozialbindung als neu gebaut werden. Deshalb nimmt ihr Bestand stetig ab. Ende 2018 gab es noch 1.176.458 Sozialwohnungen, 2022 sind es gerade noch 1,1 Millionen.
Heute sind wir in der absurden Situation, dass der Staat wohl will, aber nicht kann. Nach Jahrzehnten des Stillstands und Rückschritts hat sich die Ampel-Koalition wieder den Sozialen Wohnungsbau auf die Fahne geschrieben. Laut Koalitionsvertrag sollen 400.000 preisgebundene Wohnungen bis 2026 gebaut werden. Dafür stellt der Bund den Ländern insgesamt 14,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Bislang jedoch geht das Bauen nur schleppend voran. Es fehlt an Geld, Material und Arbeitern.
„Wir stecken in einem Dilemma“, sagt der wohnungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernhard Daldrup: „Das Geld ist das eine, die Umsetzung aber etwas ganz anderes.“ Er sieht vor allem die Bundesländer in der Verantwortung. Es gehe darum, dass die Länder das als eine Kernaufgabe begreifen. Der Schwund von sozialem Wohnraum müsse gestoppt werden. Eine detaillierte Antwort, wie das gelingen könne, hat er jedoch nicht.
Für Jan-Marco Luczak, Vorsitzender der Arbeitsgruppe Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen der CDU, grenzt das Festhalten von Bundesbauministerin Geywitz am 400.000-Wohnungen-Ziel an Realitätsverweigerung: „Dieses Scheitern mit Ansage liegt auch am Förderchaos im Bundeswirtschaftsministerium von Herrn Habeck!“ Die Bundesbauministerin habe aber leider weder selbst die Kraft noch den politischen Rückhalt des Bundeskanzlers. Nur so sei zu erklären, dass für die Förderung von Neubau und Eigentumsbildung im Haushalt 2023 lediglich eine Milliarde Euro zu Verfügung stünden, während Habeck 13 Milliarden Euro für die Sanierung bekomme. Das sei nicht einmal ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Bundesregierung müsse endlich für eine auskömmliche und verlässliche Fördersystematik sorgen und die Fesseln für die Immobilienwirtschaft lösen, statt ihr neue Fesseln, wie mit dem CO2-Kostenaufteilungsgesetz anzulegen. Das Bauordnungsrecht müsse radikal entschlackt und Planungsprozesse digitalisiert und beschleunigt werden, um das Bauen schneller und kostengünstiger zu machen.
Kostenexplosion und Verunsicherung
Der gesamte Wohnungsneubau steckt in der Krise. Im Corona-Jahr 2021 wurde insgesamt weniger gebaut als im Vorjahr. Und inzwischen sinkt auch die Zahl der Baugenehmigungen. „In der aktuellen Situation ist Neubau ohnehin nicht mehr kalkulierbar wegen steigender Bauzinsen, explodierenden Baukosten und gestörten Lieferketten“, resümiert BFW-Präsident Dirk Salewski. Eine Anfang August veröffentlichte Umfrage seines Verbands zeige für die nahe Zukunft einen enormen Einbruch bei den Neubau-Projekten. 70 Prozent der befragten Unternehmen geben an, sie werden die Hälfte der geplanten Projekte unter den gegebenen Rahmenbedingungen nicht mehr realisieren. Hochgerechnet bedeutet das einen Rückgang zwischen 50.000 und 75.000 neuen Wohnungen. „Im Mehrfamilienhausbau sind die aktuell noch hohen Baugenehmigungszahlen trügerisch. Viele Projekte werden die Baufertigstellung nicht erreichen“, ist Salewski überzeugt.
In den Tenor steigt auch Axel Gedaschko ein: „Das Wohnen und Bauen befindet sich spätestens seit Jahresbeginn in einem perfekten Sturm, der sich infolge des Ukraine-Kriegs aktuell zu einem gewaltigen Orkan entwickelt“, so der Präsident des GdW. „Aktuell türmen sich so viele Probleme auf und überlagern sich so viele Krisen gleichzeitig, dass der Stabilitätspfeiler der sozial orientierten Wohnungswirtschaft deutliche Risse bekommt.“
Festzuhalten bleibt, dass wir uns in einer absoluten Notsituation befinden. Man kann der Ampel sicher nicht vorwerfen, dass sie das nicht erkannt hat. Und sie versucht auch viel, um die Größten Härten für die Bezieher niedriger und geringer Einkommen abzufedern: Maßnahmen wie der Heizkostenzuschuss, das 9-Euro-Ticket, eine weitreichende Wohngeldreform wären noch vor zwei Jahren unvorstellbar gewesen. Jetzt muss es darum gehen, die Kräfte von Politik, Wohnungs-, Immobilien- und Bauwirtschaft zu bündeln, damit das Elend des Sozialen Wohnungsbaus bald ein Ende und wieder mehr Menschen ein bezahlbares Dach über dem Kopf haben. Bis es aber soweit ist, vergeht mehr als ein ungemütlicher Winter.
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