Der akute Mangel an kostengünstigem Wohnraum in Deutschlands Städten und Ballungszentren ist allseits bekannt. Im vergangenen Jahr wurden 280.000 bis 290.000 neue Wohnungen gebaut. In diesem Jahr wird die Bauindustrie wahrscheinlich 320.000 Wohnungen fertigstellen. Gebraucht werden aber in den nächsten Jahren bis 2020 jährlich mehr als 350.000 Wohnungen.
Um auf diese Anforderungen einzugehen und Lösungen zu diskutieren, luden der Fachverband für vorgehängte hinterlüftete Fassaden (FVHF), die Bundesstiftung Baukultur und der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie zur gemeinsamen Pressekonferenz mit anschließender Podiumsdiskussion auf der Messe BAU in München ein.
Wohnungsbau – wirtschaftlich und innovativ
Unter dem Motto „Wohnungsbau – wirtschaftlich und innovativ“ mit dem Schwerpunkt „Serielles Bauen“ referierten
- Frank Weigelt, Vorstandsmitglied des FVHF,
- Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur und
- Michael Knipper, Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie,
um anschließend mit der Bauindustrie, der Forschung & Lehre und den Architekten das Thema in einer Podiumsdiskussion gemeinsam zu erörtern und Lösungen vorzuschlagen. Geladen waren hierfür
- Thorsten Senner, Vorstandsvorsitzender der Bundesfachabteilung Fassadenbau im Hauptverband der Deutschen Bauindustrie und Geschäftsführer der Consens Bautechnik GmbH,
- Hans-Otto Kraus, Beirat der Bundesstiftung Baukultur und vormals Geschäftsführer der GWG Städtische Wohnungsgesellschaft München mbH,
- Prof. Karsten Tichelmann, Professur für Tragwerksentwicklung am Fachbereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt, Gesellschafter der Tichelmann & Barillas TSB Ingenieurgesellschaft mbH,
- Mikala Holme Samsøe, vormals Henning Larsen Architects, Planerin und Architektin, München / Kopenhagen, sowie
- Andreas Rietz, Leiter des Referats II 5 Nachhaltiges Bauen im Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR).
Der Wohnungsbau ist einer der wichtigsten Baubereiche der Branche und wird auch dieses Jahr um sieben Prozent wachsen. Jahrelang wurde diese Sparte vernachlässigt und sich mehr darauf konzentriert zu Sanieren und zu Erhalten. Heute herrscht eine große Wohnungsnachfrage und es fehlt dabei vor allem an bezahlbaren Geschosswohnungen. Hier sind Industrie und Politik gleichermaßen gefragt, technisch innovative, nachhaltige und wirtschaftlich tragbare Lösungen anzubieten.
Serielles Bauen im Fokus
Das serielle Bauen stellt hierfür ein wichtiges Instrument dar, das ein beschleunigtes Bautempo ermöglicht und die Baukosten senken kann. Die Fehler der Vergangenheit mit Platten- und Großbausiedlungen und deren Tendenz zu einer gewissen Uniformität dürfen dabei nicht wiederholt werden. Heute benötigen wir nachhaltige Systeme, die das Potenzial zu einer flexiblen und individuellen Gestaltung haben.
Die Politik hat in den vergangenen Jahren durch viele Zusatzregulierungen der staatlichen Rahmenbedingungen einen Großteil der Kostensteigerungen im Bau verursacht. Allein der letzten EnEV ist eine Kostenerhöhung von vier Prozent für den Mietshausbau zuzuschreiben. Hier wünschen sich die Bauindustrie und Planer eine Vereinfachung von Genehmigungs- und Vergabeverfahren. Michael Knipper dazu: „Die Überfrachtung der Normen und Vorschriften wie beim Schallschutz und Brandschutz oder der Stellplatzverordnung müssen durchforstet werden, der ein oder andere Ausstattungsstandard muss hinterfragt werden.“
Entlastung der Ballungsräume
Um der Kostensteigerung der Mieten in den Ballungsräumen entgegenzuwirken sollte zudem langfristig mehr Bauland bereitgestellt werden. Da die Grundstücke in den sogenannten A-Standorten in unseren Städten bekanntlich begrenzt sind, werden zukünftig auch B- & C-Standorte genutzt werden müssen. Dazu merkte Reiner Nagel an: „Die Bundesstiftung Baukultur setzt sich dafür ein, eine gewisse Entlastung in der Wohnraumsituation von Ballungsräumen zu schaffen, indem wir Kleinstädte und Mittelstädte – aus immobilienwirtschaftlicher Sicht würde man sagen B-Städte – zum Beispiel in unserem aktuellen Baukulturbericht 2016/17 „Stadt und Land“ ins Gespräch bringen. Dort kann Baukultur helfen, „Lagen“ zu schaffen und gleichzeitig profitiert die Qualität der gebauten Umwelt an diesen Orten davon.“
Für die Bauindustrie besteht die Herausforderung, die Kosten langfristig zu senken, indem sie nachhaltige Prozesse verstetigt. Dafür muss sie aber zuerst einen hohen Entwicklungs- und Kostenaufwand in das Bauen von Prototypen stecken. Andreas Rietz fasst es so zusammen: „In Deutschland haben wir eine Struktur, in kleinen Dimensionen zu denken, zu planen und zu bauen, was aber nicht heißt, dass jedes Detail neu erfunden und gebaut werden muss.“
Auch in der Ausbildung und Lehre sollte ein Umdenken eintreten. Hans-Otto Kraus dazu: „Diese Planungskultur, dass jedes Gebäude neu zu erfinden ist, das können wir uns einfach nicht mehr leisten. Man darf sich als Architekt nicht scheuen, bewährte Module immer wieder zu verwenden.“
Individuelle Gestaltung trotz serieller Fertigung
Um bezahlbaren und nachhaltigen Wohnraum anbieten zu können, kann serielles Bauen zielführend sein. Frank Weigelt: „Es werden nachhaltige Fassadensysteme benötigt, die das Potenzial zur flexiblen und individuellen Gestaltung haben, bei gleichzeitig preiswerter serieller Fertigung.“ Dies kann über die stärkere Nutzung von vorgefertigten Wand- und Skelettbauteilen, wie beispielsweise in Skandinavien, passieren oder über die Vorfertigung von ganzen Modulen. Den Spielraum zwischen seriellen Produkten und einer individuellen Gestaltung bietet hier vor allem die VHF. „Der Skelettbau ermöglicht eine flexible Fassade. Sie (die Fassade) wird hierbei Bestandteil eines vorgefertigten Außenwandelements, das in Fensteröffnungen, in Oberflächenmaterialien und in Fassadenstrukturen im Lauf der Zeit beliebig angepasst werden kann“, so Prof. Karsten Tichelmann. „Die vorgehängte hinterlüftete Fassade (VHF) lässt von außen später nicht mehr erkennen, dass dahinter das gleiche, kostengünstige Modul steckt, zudem besitzt sie einen sehr hohen Grad an Vorfertigung“, fügt Thorsten Senner hinzu.
Alles im allem lässt sich die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Menge an Neubauten nur durch Professionalität und integrierte Arbeit aller Beteiligten erreichen. „Wenn serielles Bauen eine Voraussetzung ist, dann fordert es viel technisches Wissen und dieses Wissen muss nach den ersten Erfahrungen kontinuierlich in die weitere Planung und Gestaltung einbezogen werden, gibt Mikala Holme Samsøe ihre Erfahrungen aus dem dänischen Wohnungsbau weiter. Hier setzt die Arbeit des FVHF an, welcher aus einem Netzwerk aus Politik, Bauindustrie, auch Bauhandwerk sowie Architekten, Planern, Bauherren und Nutzern von Wohngebäuden gemeinsam den wirtschaftlichen und innovativen Wohnungsbau voranbringen will.
www.fvhf.de