Im Dezember 2014 hat die Bundesrepublik Deutschland beschlossen, bis 2020 mindestens 40 Prozent weniger Treibhausgase zu emittieren. Nur so lässt sich der Klimawandel aufhalten. Gebäude spielen dabei eine wichtige Rolle. Ihnen fällt nach Ansicht von Dr. Engin Bagda, stellvertretender Vorsitzender der Allianz Bauwerkintegrierte Photovoltaik und Lithodecor-Produktmanager Kai Brandau, eine neue Aufgabe zu. Sie müssen in Zukunft in der Lage sein, nicht nur den eigenen Energiebedarf zu reduzieren, sondern selbst Energie zu erzeugen. Über ihren Ansatz, mit vorgehängten hinterlüfteten Fassadensystemen Dämmung und Stromerzeugung mittels bauwerkintegrierter Photovoltaik (BIPV) zu verbinden, sprach Chefredakteur Jörg Bleyhl.
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» Kürzlich wurde die Allianz Bauwerkintegrierte Photovoltaik ins Leben gerufen. Was ist das Ziel?
Bagda: Der neu gegründete Verein „Allianz Bauwerkintegrierte Photovoltaik“ in Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, an Gebäuden mit Photovoltaik erzeugten Strom zu fördern. Nach der Ära des Energiesparens am Gebäude ist klar: Wir werden nur mit energieaktiven Gebäudehüllen und selbst produziertem Strom vor Ort unserer Vision von einer nachhaltigen Reduktion des CO2-Ausstoßes und einer grünen Zukunft näher kommen. Die Allianz BIPV will durch Sachinformation einen Durchbruch zu einem zukunftsfähigen Konzept des Bauens mit einer energieaktiven Gebäudehülle schaffen.
» Wie wollen Sie das realisieren?
Bagda: Wir wollen mit der Allianz BIPV Planern, Architekten und Nutzern von Photovoltaik an Bauwerken Hilfestellung zum energieaktiven Bauen mit Photovoltaik geben. Der Name „Allianz“ signalisiert, dass dies in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden und Interessengruppen geschehen soll.
Brandau: Das Motto heißt: Klimaschutz an Fassaden gestalten mit BIPV. Neben der wirtschaftlichen Lösung der Kombination von BIPV mit Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) sind auch hochwertige Oberflächen in Verbindung mit Glas und Stein möglich. Das sind architektonisch interessante Alternativen für Fassaden. Damit können Planer, Investoren und Architekten unter Verwendung von BIPV ästhetisch hervorragend die Anforderungen zur Energieeinsparung erfüllen. Die Nutzer solcher Gebäude schonen die Umwelt, sparen Geld und sind durch den selbst erzeugten Strom in einem gewissen Umfang vom Netz unabhängig. Außerdem entlasten sie mit der Quartierslösung der eigenen Stromerzeugung die Stromnetze.
» Mit den Energieeinsparverordnungen (EnEV) kamen von Seiten des Gesetzgebers stetig weitere Vorgaben zur Reduzierung des Energieverbrauchs von Gebäuden. Hat Photovoltaik damit neben der Wärmedämmung eine neue Bedeutung erhalten?
Bagda: Ja. Auch in der Politik besteht Konsens, dass an solchen energetisch zukunftsfähigen Konzepten für das Bauen kein Weg vorbeiführt. So fordert die von der Bundesrepublik Deutschland ratifizierte EU-Gebäuderichtlinie (2010/31/EU) zur Umsetzung des Kyoto-Protokolls, dass ab 2019 alle neuen öffentlichen Gebäude und bis 2020 alle Gebäude einem „Niedrigstenergiestandard“ entsprechen müssen. Herzstück dabei ist die Wärmedämmung der Gebäudehülle. Diese kann so effektiv werden, dass auf eine Heizungsanlage verzichtet werden kann, in dem ein „Nur-Strom-Haus“ konzipiert wird. Hier reicht für die Heizung im Winter im Wesentlichen der Stromverbrauch der Geräte im Gebäude. Es wird aber bei Gebäuden, die dem Niedrigstenergiestandard entsprechen, Strom für die Lüftung und insbesondere im Sommer für die Kühlung gebraucht. Deshalb bedarf es zum Einhalten der EnEV erheblicher Mengen an Strom, der durch BIPV erzeugt werden kann.
» Lohnt sich energieaktives Bauen mit BIPV?
Bagda: Wird der am Gebäude erzeugte Strom berücksichtigt, reduziert sich der Primärenergiebedarf des Gebäudes, das Gebäude wird energetisch „wertvoller“. Somit lohnt sich energieaktives Bauen mit BIPV gleich in mehrfacher Hinsicht. Fassaden mit BIPV bewirken in Kombination mit hochwertigen Oberflächen eine Wertsteigerung und erhöhen die Akzeptanz des Objekts mit einem modernen Erscheinungsbild, einer einzigartigen Architektur mit Nutzen für Umwelt, Klima sowie Volkswirtschaft.
» Wann und wo sollte Photovoltaik in Betracht gezogen werden?
Brandau: Grundsätzlich macht es Sinn, bei allen Neubau und Sanierungsprojekten die Nutzung von Photovoltaik in Betracht zu ziehen. Neben der Eigennutzung des Stroms hat es eine positive Auswirkung auf die Bilanzierung im Sinne der EnEV. So lässt sich bei der Bilanzierung nach DIN 18599 eine höhere Gebäudeklasse ermitteln, oder man kann an anderer Stelle Einsparungen vornehmen. Am Gebäude stehen für Photovoltaik das Dach und die Fassade zur Verfügung. Bei Gebäuden mit mehr als drei Stockwerken ist der Anteil an der Fassadenfläche gegenüber der nutzbaren Dachfläche deutlich größer. Die Dachflächen sind oft mit Klimageräten, Fahrstuhlschächten oder Antennenmasten verbaut. Die Integration in die Fassade ermöglicht eine ästhetisch ansprechende Lösung, hier wird die Funktion der klassischen Fassade kombiniert mit dem Nutzen der Stromernte. Deshalb haben wir auch den Begriff „Plusenergie-Fassaden“ hierfür entwickelt, der die gesamte Fassade einbezieht.
» Welche Erfahrungen hat Lithodecor als Hersteller von Plusenergie-Fassaden bislang bei konkreten Objekten sammeln können?
Brandau: Derzeit werden an Fassaden als stromerzeugende Komponente Bauwerkintegrierte Photovoltaik-Module (BIPV-Module) bevorzugt, die als vorgehängte hinterlüftete Fassaden (VHF) ausgebildet sind. Wir sind auf VHF-Fassaden spezialisiert und haben Photovoltaik bereits erfolgreich als Plusenergie-Fassaden realisiert. Ein Beispiel hierfür ist das Polizeirevier Kassel. Durch die BIPV-Module in Süd, Ost und West werden jährlich etwa 16.000 Kilowattstunden Strom erzeugt. Die dreiseitige Belegung mit BIPV ermöglicht das Erzeugen von Strom von morgens bis in den Nachmittag. Dieser Strom wird angesichts des hohen Bedarfs des Polizeireviers tagsüber hauptsächlich im Gebäude selbst verbraucht. Die Überschüsse werden in das städtische Versorgungsnetz eingespeist. Insgesamt erreicht das Gebäude damit eine positive Gesamtenergiebilanz. Der Energieverbrauch liegt rund 60 Prozent unter den Anforderungen der EnEV 2009.
» Gibt es auch Beispiele mit Wohngebäuden?
Brandau: Ja, einige. Zum Beispiel ein neungeschossiges Hochhaus in der Eislebener Straße 75 in Bremen, das eine überzeugende Energiebilanz liefert. Hier wurde BIPV mit WDVS kombiniert. Es werden hier jährlich etwa 35.000 Kilowattstunden Strom erzeugt. Sie werden überwiegend im Gebäude verbraucht, Überschüsse auch hier in das städtische Versorgungsnetz eingespeist. Nach Abschluss der Modernisierung erreicht das Gebäude im Durchschnitt einen Primärenergiebedarf von unter 50 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr Nutzfläche. Damit hat sich der Energiebedarf durch die umfassende Modernisierung um mehr als 80 Prozent reduziert. Insgesamt lässt sich also feststellen, dass BIPV als integraler Bestandteil künftigen Bauens bei der Modernisierung und natürlich auch im Neubau hervorragende Möglichkeiten bietet.
www.allianz-bipv.org