Was war passiert? Ein „Allerwelts-Fall“ belastet das Nachbarverhältnis schwer, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes: Der Eigentümer des Nachbargrundstücks will bauen. Die betraute Bauunternehmung möchte einen Schwenkkran einsetzen. Also zeigt der Nachbar der späteren Klägerin das Vorhaben an, weil der Ausleger des Krans in rund 17 Metern Höhe über dem Dachfirst ihres Wohnhauses schwenken soll. Sie widerspricht energisch einer solchen Nutzung des Luftraums über ihrem Grundstück, und zwar auch in der „zur Güte“ angebotenen Variante eines Betriebs ohne Lasten, und verlangt nähere Informationen. Statt diese zu erteilen und auf einen friedlichen Interessenausgleich bedacht zu sein, wird der Baukran errichtet, was die Klägerin gänzlich „auf die Palme bringt“: Sie zieht vor Gericht und will Eilrechtsschutz dahingehend erreichen, dass sowohl dem Nachbarn als auch der Bauunternehmung der Baukranbetrieb verboten wird.
Die Meinung des Gerichts: Das Oberlandesgericht (OLG) München gibt ihr, anders als das Landgericht, Recht. Denn die Beklagten haben – das wird auch scharf, weil im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) so formuliert – „verbotene Eigenmacht“ geübt und das für solche Nachbarkonflikte im Gesetz vorgesehene Verfahren verletzt. Weigert sich der angefragte Nachbar nämlich, das Überschwenken seines Grundstücks – einerlei ob mit oder ohne Lasten – zu dulden, darf der Bauwillige nicht einfach „loslegen“, sondern er muss seinerseits die Gerichte bemühen, um seine (vermeintliche) Rechtsposition durchzusetzen. Ausnahme ist allein ein Notstandsrecht, Paragraf 904 BGB: Dann müssten die Einwirkung zur Abwendung einer gegenwärtigen Gefahr notwendig und der drohende Schaden gegenüber einem aus der Einwirkung auf das fremde Grundstück entstehenden Schaden unverhältnismäßig groß sein. Diese Voraussetzungen waren im Münchener Fall nicht ersichtlich.
Ratschlag für den Verwalter: Der Fachverwalter muss, schon um die Wohnungseigentümer zutreffend beraten zu können, wie mit einem bauwilligen Nachbarn richtig umzugehen ist, die Grundzüge des Hammerschlags- und Leiterrechts kennen. Hierbei handelt es sich um Landesrecht, das in vielen Bundesländern weitgehend gleichen Regeln folgt (in Bayern zum Beispiel geregelt in Artikel 46 b des Bayerischen Ausführungsgesetzes zum BGB [BayAGBGB]). Fast noch wichtiger als die Verfahrensregeln ist es zu wissen, dass dem womöglich duldungspflichtigen Nachbarn ein scharfes Schwert in die Hand gegeben ist, auf dem „Sicherheitsverlangen“ geschrieben steht. Artikel 46 b Absatz 4 Satz 2 BayAGBGB lautet: „Auf Verlangen ist Sicherheit in Höhe des voraussichtlichen Schadensbetrags zu leisten; in einem solchen Fall darf das Recht erst nach Leistung der Sicherheit ausgeübt werden.“ Macht der Nachbar also ernst, wird manch Bauwilliger in finanzielle Bedrängnis geraten und seine Bank bitten müssen zu helfen. Das zu wissen wird die Position von Wohnungseigentümern in den Verhandlungen mit einem Bauwilligen, geführt vom Verwalter nach Paragraf 9 b Absatz 1 Satz 1 des zum 1. Dezember 2020 reformierten WEG, schlagartig verbessern. Gibt es keinen Verwalter, findet nach Satz 2 der genannten Vorschrift Gesamtvertretung durch die Wohnungseigentümer statt; sie können durchaus einen von ihnen zur Verhandlungsführung ermächtigen beziehungsweise bevollmächtigen (siehe Kappus in Neue Juristische Wochenschrift [NJW] Heft 50 vom 3. Dezember 2020, Seite 3617 Randnummer 10). Nimmt man hinzu, dass Kran-Unfälle schnell zu sechsstelligen Schäden führen, erahnt man das Potenzial des Sicherheitsverlangens: In einem Fall vor dem Berliner Kammergericht ging es um fast 200.000 Euro (7 U 231/07, BeckRS 2010, 5778; siehe auch Vorinstanz LG Berlin 22 O 50/06, BeckRS 2014, 5338).
Dokumentation: OLG München, Urteil vom 15. Oktober 2020 (8 U 5531/20), Entscheidungsabdruck in NZM, Heft 22 vom 27. November 2020.
Fotos: Eric Isselée/Adobe Stock; magicpitzy/Adobe Stock