Was war passiert? Im neuen Fall des Bundesgerichtshofs (BGH) verwirklicht sich „Murphy’s Law“: Was schief gehen kann, geht auch schief. Nicht zuletzt deshalb müssen die Gerichte später „richten“, was der Bauträger zu errichten „vergaß“. Und der BGH muss gar zweimal entscheiden. Das Unheil nimmt anfangs der Jahrtausendwende seinen Lauf, als in Brandenburg eine Wohnanlage gebaut werden soll. Die „Allgemeine Baubeschreibung“ in der Baugenehmigung von Dezember 2003, die spätere Erwerber beim Bauträger nach dessen Hinweis in Kopie hätten erlangen können, sieht auf der „großzügig nach Südosten geöffneten Fassade“ mit ihren Terrassen und Wintergärten („Hofseite“) eine in einem Stahlrahmen anzubringende Jalousien-Verschattungsanlage vor. In der im Oktober 2003 errichteten Teilungserklärung ist davon noch nicht die Rede. In der Folge unterbleibt die Herstellung des kollektiven Sonnenschutzes.
Im Sommer 2012 fassen die Wohnungseigentümer mehrheitlich den Beschluss, an ihren Türen und Fenstern hofseitig fach- und sachgerecht Jalousien, Lamellen und feste Verschattungen (nach vom Verwalter noch einzuholender technischer Lösung und Beschlussfassung „nach Angebotsvorlage“) zu installieren. Die jetzt beklagten Wohnungseigentümer ließen im darauffolgenden Herbst an der vorgelagerten Stahlbaukonstruktion ihrer Wohnungen Außenjalousien anbringen. Diese sind nun „Stein des Anstoßes“ der Kläger, die ihre freie Aussicht (auch in den Himmel) beeinträchtigt sehen. Die Beseitigungsklage hat im Instanzenzug keinen Erfolg und der BGH gibt die Sache an das Landgericht (LG) Frankfurt (Oder) zurück, er vermisst eine hinreichende Aufarbeitung der öffentlich-rechtlichen Zusammenhänge des fehlenden Ausstattungsmerkmals einer Verschattungsanlage. Im laufenden Berufungsverfahren fassen die Wohnungseigentümer einen weiteren, ebenfalls angefochtenen Beschluss, wonach allen Wohnungseigentümern gestattet (wird), „an die hofseitig gelegene und südwärts vorgelagerte Fassaden- und Balkonkonstruktion entsprechende Verschattungsanlagen (Jalousien/Verschattungsjalousien) fachmännisch anzubringen“, und zwar gegen Tragung der entstehenden Einbau- und eventuellen Folgekosten sowie von Schäden und den Kosten ihrer Beseitigung, soweit von der Gebäudeversicherung nicht gedeckt.
Die Meinung des Gerichts: Der BGH qualifiziert die zweite Beschlussfassung als einzelfallbezogen im Sinne von Paragraf 16 Absatz 4 WEG und stellt klar, dass sich die daraus resultierende Mehrheitskompetenz auch auf noch nicht geplante Maßnahmen, nämlich der übrigen „ausbauwilligen“ Wohnungseigentümer, beziehen darf. Auch Eigenmacht eines Wohnungseigentümers bei Durchführung einer baulichen Veränderung muss nicht notwendig zum Rückbau führen, nämlich wenn die Wohnungseigentümer die Maßnahme später mit der Maßgabe genehmigen, dass der verändernde Wohnungseigentümer die Folgekosten trägt.
Ratschlag für den Verwalter: Die Entscheidung des BGH stärkt die Rechte der von der Sonneneinstrahlung gequälten Mehrheit. Man kann es dem V. Zivilsenat kaum verübeln, dass er die Karlsruher Akten endgültig schließen und der Revision „im Ergebnis“ nicht zum Erfolg verhelfen wollte. Die Entscheidung macht dahin Mut, eine unzulängliche Beschlusslage alsbald „nachzubessern“. Dass der „Nachbesserungsbeschluss“ seinerseits angefochten war, hätte die Gerichte zum Einhalten („Aussetzen“ des Verfahrens) bewegen können, eine Überprüfung ihres Verhaltens in der Revision muss allerdings rechtzeitig mit der Verfahrensrüge angeschoben werden, die wiederum fehlte. „Murphy’s Law“ eben.
Dokumentation: BGH, Urteil vom 15. Mai 2020 (V ZR 64/19), Entscheidungsabdruck in NZM, Heft 18 vom 25. September 2020.
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