Demografischer Wandel erfordert Anpassungen.
Die gesteigerten Ansprüche der Mieter an ihr Wohnumfeld und die alternde Bevölkerung machen die nachträgliche Errichtung eines Aufzugs in Wohngebäuden zumindest aus wirtschaftlichen Gründen notwendig. Baurechtliche Fragen können sich dann ergeben, wenn das vorhandene Bauvorhaben die bebaubare Grundstücksfläche bereits vollständig in Anspruch nimmt.
Der Aufzuganbau außerhalb der Baugrenze
Die Gemeinde regelt im Bebauungsplan nicht nur den Umfang der Baukörper durch Höchstgrenzen für die Grundfläche und die Geschossflächen, sondern auch die Lage der Bauvorhaben auf den Grundstücksflächen. Baugrenzen geben eine Fläche vor, innerhalb derer das Bauvorhaben liegen muss. Baulinien verlangen die Errichtung des Bauvorhabens auf dieser Linie. Probleme beim nachträglichen Einbau eines Aufzugs an das Gebäude ergeben sich deshalb dann, wenn das Bauvorhaben schon auf der Baugrenze steht oder zwangsläufig die Baulinie eingehalten hat. Für die Baulinie bestimmt Paragraf 23 Absatz 2 Baunutzungsverordnung (BauNVO), dass in geringem Umfang ein Vor- oder Zurücktreten von Gebäudeteilen zugelassen werden kann und im Bebauungsplan weitere Ausnahmen nach Art und Umfang vorgesehen werden können. Für die Baugrenze lässt Absatz 3 ein Vortreten von Gebäudeteilen in geringfügigem Umfang zu.
Die Zulässigkeit einer Ausnahme für den Aufzug außerhalb der Baugrenze
Dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs (VGH) Baden-Württemberg vom 5. November 2014 – 3 S 1419/14 lag folgender Sachverhalt zugrunde. An ein Wohngebäude, Grundfläche 150 Quadratmeter, Wandlänge zum klagenden Nachbarn 15 Meter, sollte zur Erschließung der Dachgeschosswohnung vom Eingangsbereich im Erdgeschoss und von der Garage im Untergeschoss ein Aufzug, Grundfläche Breite 1,7 mal Tiefe 1 Meter, Höhe 10,5 Meter bei einer Firsthöhe des Hauses von 11,9 Meter, errichtet werden. Unter Verweis auf Paragraf 23 Absatz 3 BauNVO, wies das Verwaltungsgericht die Klage des angrenzenden Nachbarn ab, und der VGH ließ die Berufung nicht zu.
Für die Frage, ob sich ein Nachbar gegen den Anbau eines Aufzugs außerhalb der Baugrenze wehren kann, ist zunächst wie immer im Baurecht die Frage entscheidend, ob die Regelung über die Baugrenze nachbarschützende Wirkung hat. Denn nur insoweit hat der Nachbar eine Klagemöglichkeit. Die Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften insgesamt steht dagegen nicht in seiner Macht. Die Frage ist bei Baugrenzen und -linien unter den Verwaltungsgerichten umstritten und muss deshalb im Einzelfall anhand der einschlägigen Entscheidungen des zuständigen Oberverwaltungsgerichts/VGH geprüft werden. Eine Hilfe hierbei ist im Regelfall die Auslegung des Bebauungsplans: Berücksichtigt die Festsetzung auch den Schutz Dritter, oder ist sie nur aus städtebaulichen Gründen getroffen? In Baden-Württemberg ist zumindest geklärt, dass die seitliche und rückwärtige Baugrenze für den angrenzenden Nachbarn nachbarschützende Wirkung hat. Darauf konnte sich der betroffene Nachbar in dem Streitfall berufen.
Materiellrechtlich hatte die Klage des Nachbarn aber wegen der geringfügigen Überschreitung der Baugrenze keinen Erfolg. Der Aufzuganbau war nach Auffassung der Gerichte ein – unwesentlicher – Gebäudeteil, war aber nicht Teil des Gebäudes selbst, hier der Baukörper der Wohnungen. Dafür sprach auch die Dimension des geplanten Anbaus für den Aufzug im Verhältnis der bereits vorhandenen Wand auf der Seite zum Nachbarn. Der VGH hatte bereits früher entschieden, dass Treppenhäuser, ohne Aufzug, bei einer Überschreitung der Baugrenze ebenfalls nach Paragraf 23 Absatz 3 BauNVO, als unwesentlicher Gebäudeteil privilegiert sein können. Die Frage, in welchem Umfang noch ein unwesentlicher Gebäudeteil vorliegt, hat das Verwaltungsgericht (VG) mit Billigung des VGH nach dem Maßstab für die Abstandsflächen entschieden.
Länderspezifische Sonderregelungen sind zu beachten
Grundsätzlich muss bei der Errichtung eines Aufzugs an der Außenwand eines Gebäudes die Prüfung der hierfür notwendigen Abstandsfläche getrennt für den Aufzug erfolgen. Bei dem hier vorliegenden Gebäude überragte der Aufzug die für die Abstandsflächen des Gebäudes maßgebliche Wandhöhe, sodass er eine größere Abstandsfläche in seiner Breite benötigte. Allerdings enthalten die Landesbauordnungen (LBO) der Länder auch Befreiungen vom Gebot der Abstandsflächen. Im vorliegenden Fall half dem Bauherrn Paragraf 5 Absatz 6 Nummer 2 LBO Baden-Württemberg in der damals gültigen Fassung, weil der Anbau des Aufzugs weder in seiner Breite noch in seiner Tiefe die für die Befreiung von den Abstandsflächen vorgesehenen Maße überschritt.
Zuletzt hat das VG festgestellt, dass durch den Betrieb des Aufzugs keine unzumutbaren Beeinträchtigungen für den klagenden Grundstücksnachbarn erfolgten. Im Antrag auf die Zulassung der Berufung hatte dieser hierzu nichts vorgetragen.
Im Ergebnis kann generell festgehalten werden, dass der Außenanbau eines Aufzugs auch beim Überschreiten der Baugrenze möglich ist, dass aber hierbei der Umfang der Bauwerke eine entscheidende Rolle spielt. Bei einem Wohngebäude mit einer nur halb so großen Wandfläche zum Nachbarn hätte das Gericht sicherlich nicht ebenso großzügig entschieden.
Dr. Hellmuth Mohr
(Rechtsanwalt, Stuttgart)