Vor fast genau 100 Jahren, genauer am 15. Januar 1919, trat das deutsche Erbbaurechtsgesetz in kraft. Schon vor dem Ersten Weltkrieg war in den Städten Wohnraum knapp gewesen. die Situation verschärfte sich durch rückkehrer und Flüchtlinge, die nun in die Städte drängten. in dieser Situation sollte das Erbbaurecht auch Menschen mit wenig Einkommen Wohneigentum ermöglichen und Bodenspekulationen vorbeugen. „Heute ist diese Idee angesichts steigender Mieten und Kaufpreise so aktuell wie selten“, lautet die Einschätzung des deutschen Erbbaurechtsverbands.
„Immer mehr Kommunen in Deutschland denken über den verstärkten Einsatz von Erbbaurechten nach oder praktizieren ihn schon“, erklärt Hans-Christian Biallas, der Präsident des Deutschen Erbbaurechtsverbands. In Frankfurt/Main beispielsweise erfolgt die Grundstücksvergabe derzeit in der Regel durch die Bestellung von neuen Erbbaurechten. So kommt es, dass das 2018 eröffnete Dom-Römer-Quartier, Frankfurts „Neue Mitte“, vollständig im Erbbaurecht vergeben wurde. In Berlin hat die rot-rot-grüne Regierung die verstärkte Nutzung des Erbbaurechts schon 2016 zum Bestandteil ihres Koalitionsvertrags gemacht. 2018 beschloss der Senat außerdem, die Erbbauzinsen bei Neuverträgen um die Hälfte zu senken.
Die Stadt München legt in ihrem wohnungspolitischen Handlungsprogramm „Wohnen in München VI“ fest, dass sie bis 2021 mehr Grundstücke im Erbbaurecht vergeben möchte, um „langfristig bezahlbaren Mietwohnungsbau zu sichern“. Und in Hamburg wurde 2017 der Erbbauzins für städtische Grundstücke bei Wohnnutzung auf 2,1 Prozent des Bodenwerts gesenkt. 2018 verkündete außerdem die Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, dass die Stadt ihre Grundstücke künftig vermehrt im Erbbaurecht vergeben werde, anstatt sie zu verkaufen.
„Die Liste ließe sich beliebig erweitern“, sagt Hans-Christian Biallas. „Wohl jede Kommune, die mit steigenden Mieten und Kaufpreisen zu kämpfen hat, befasst sich aktuell mit dem Erbbaurecht.“ Denn es ermöglicht die Trennung zwischen dem Eigentum am Grundstück und dem Eigentum auf dem darauf stehenden Gebäude. Wer ein Erbbaurecht erwirbt, spart sich also den Kaufpreis für den Grund und Boden. Stattdessen zahlt er einen Erbbauzins, der meist monatlich entrichtet wird. Gerade für Menschen, die ihre Liquidität schonen möchten, ist es deshalb ein attraktives Instrument. Kommunen behalten mit der Vergabe von Erbbaurechten die Kontrolle über ihre Grundstücke und können auch Konditionen für deren Nutzung im Erbbaurechtsvertrag vorgeben. So ist es zum Beispiel möglich, die Höhe des Erbbauzinses an die Miethöhe zu koppeln.
Auch auf Bundesebene ist das Thema angekommen. In der Erklärung zum Wohnungsgipfel im September 2018 kündigte die Regierung an, für bundeseigene Grundstücke die rechtlichen Grundlagen zu schaffen, um auch das Erbbaurecht nutzen zu können. Außerdem soll die Expertenkommission „Nachhaltige Baulandmobilisierung und Bodenpolitik“ bis Sommer 2019 Vorschläge für eine bessere Baulandpolitik erarbeiten. Dabei lotet sie unter anderem das Potenzial des Erbbaurechts für den Bau bezahlbarer Wohnungen aus.
„Das Interesse am Erbbaurecht steigt merklich an“, sagt Hans-Christian Biallas. „Das zeigt: Auch nach 100 Jahren ist es nicht aus der Mode gekommen – ganz im Gegenteil.“
www.erbbaurechts- verband.de
Foto: Dom-Römer/Uwe Dettmar