Seit Jahrzehnten werden in Deutschland regelmäßig Hochhausprojekte und ihre Bedeutung für die Stadtentwicklung debattiert. Doch in den meisten Fällen bleibt es dabei, denn im internationalen Vergleich zählt Deutschland immer noch zu den Entwicklungsländern in Sachen Hochhausbau. Das zeigt ein weltweites Ranking der Länder mit Gebäuden über 200 Metern, in dem die Wirtschaftsmacht Deutschland mit fünf Hochhäusern abgeschlagen im unteren Bereich der Skala rangiert – mit Staaten wie Vietnam und Kuwait. In Führung liegen China mit 345 und die USA mit 156 Bauwerken (Stand 2015).
Vorbehalte gegenüber Hochhäusern
Der Rückstand Deutschlands ist historisch gewachsen. Schon als in Amerika Ende des 19. Jahrhunderts das Hochhaus moderner Prägung „erfunden“ wurde, verhielt sich Deutschland abwartend. In den folgenden Jahrzehnten verstärkten sich die Vorbehalte, und auch nach dem Zweiten Weltkrieg dominierte weiterhin Skepsis gegenüber Wolkenkratzern. Kritisch betrachtet wurde vor allem deren gesellschaftlicher Symbolwert als Zeichen des Siegs im Konkurrenzkampf um den teuren innerstädtischen Boden. Wolkenkratzer galten als Insignien einer ungezügelten kapitalistischen Entwicklung und standen für Bodenpreissteigerung und Verschandelung von Stadtbildern. Viele empfanden Wolkenkratzer für den Typus der europäischen Stadt als ungeeignet und sprachen absichtlich nicht von Wolkenkratzern, sondern von Turmoder Hochhäusern.
Sonderweg in Frankfurt/Main
Trotz aller Zweifel entstanden auch in Deutschland Hochhäuser – die ersten Anfang des 20. Jahrhunderts. Heute stehen die höchsten und meisten Hochhäuser der Bundesrepublik in Frankfurt/Main, wo 31 eine Höhe von mindestens 100 Metern erreichen. Dann folgen Berlin mit elf, Köln mit zehn, München mit sechs und Düsseldorf sowie Hamburg mit jeweils drei Hochhäusern über der 100-Meter-Marke. In Frankfurt erließen Politik und Verwaltung schon in den frühen 50er-Jahren unter dem Druck wirtschafts- und finanzstarker Unternehmen und von Spekulanten immer wieder Ausnahmegenehmigungen für den Hochhausbau. Konsequenterweise veröffentlichte die Stadt 1953 den ersten Hochhausplan hierzulande. So ging Frankfurt einen Sonderweg und wurde „amerikanisch“. Alle anderen deutschen Großstädte dagegen errichteten nur in sehr bescheidenem Maße städtebauliche Dominanten. Noch restriktiver war und ist der Umgang mit Hochhäusern in den zahlreichen mittleren und kleineren Städten. Da viele eine historische Silhouette aus Kirchtürmen und Kuppeln besitzen, ist der Bau von Hochhäusern im oder nahe am alten Stadtkern meist unerwünscht und politisch nicht mehrheitsfähig.
Gesellschaftlicher Diskurs
Gesellschaftlicher Diskurs Im Laufe der Jahre veränderten sich die Schwerpunkte der Hochhausdiskussion. Es ging nicht mehr nur um Größe, Architektur und Standort. Immer stärker rückten auch soziologische Aspekte in den Vordergrund. Wenn heute ein Hochhaus gebaut wird, ist dies das Ergebnis einer breiten gesellschaftlichen Diskussion, an der außer Investoren, Stadtplanern, Ingenieure und Architekten auch Nachbarn, betroffene Bürger, Kommunalpolitiker und Medien als Multiplikator teilgenommen haben. Diese Komplexität ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass Hochhäuser positive städtebauliche Akzente setzen, die städtische Identität prägen und wirtschaftliches Selbstbewusstsein demonstrieren können.
Mischnutzung steigert Vitalität
Eigentlich scheint es einfach: Der beste Standort für ein Hochhaus ist dort, wo es am besten hinpasst. In diesem Satz steckt ein ganzes Konzept, in dessen Mittelpunkt die Nutzung des Gebäudes steht. Wir brauchen eine gesunde Mischung aus Gewerbe- und Wohnnutzung, damit die Hochhausstandorte auch außerhalb von Geschäftszeiten voller Leben sind. Das ist im Sinne der Stadt ebenso wie der Investoren und Eigentümer. Die frühere Praxis der Errichtung von reinen Bürotürmen hat sich überlebt. Hierfür steht vor allem Frankfurt, dessen zahlreiche Hochhäuser einseitig ausgerichtet waren, was negative Auswirkungen auf die Vitalität und Attraktivität der City hatte.
Neubauten sollten sich zumindest ansatzweise in das gegebene Stadtbild einfügen und zugunsten der Rendite Mischnutzungskonzepte in Erwägung ziehen. Nach einer Wachstumsphase im Wohnungsbau denken – so die Analysten des Investors Deutsche Immobilen Chancen (DIC) – viele Geldgeber darüber nach, ihr Vermögen wieder in Gewerbeimmobilien zu investieren. Konzepte der variablen Nutzung wären dabei im Sinne der Kommune und ebenso der Anleger, deren Kapital dadurch noch sicherer eingesetzt wäre.
Mischnutzungskonzept „Berliner Lösung“
Für die gelungene Einordnung eines Hochhauses in die städtebauliche Konstellation steht die sogenannte Berliner Lösung, bei der verschiedene Nutzungsarten wie Büro, Wohnen, Gastronomie oder Hotel unter einem Dach vereint sind. Eine Studie von Bulwiengesa kam im Herbst 2015 zu dem Ergebnis, dass es für Hochhäuser in Berlin viel Potenzial gäbe. Allerdings ist mit einer reinen Büronutzung keine Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Typische Hochhausmieter wie Wirtschaftsprüfer, Banken und große Anwaltskanzleien sind nicht, wie in anderen europäischen Hauptstädten, in ausreichender Anzahl vertreten, um gleich mehrere neue Hochhäuser mit Mietern zu belegen. Aus dieser Situation wuchs die Erkenntnis, dass Hochhäuser in der Hauptstadt nur mit einem Mischkonzept Sinn machen. Grundlage einer derartigen Hochhausplanung ist die positive wirtschaftliche Entwicklung Berlins. Unternehmen, Investoren, Politiker, Einwohner sehen darin Potenziale für eine gute Zukunft der Stadt. Neben diesen fördernden Faktoren gibt es auch Hemmnisse. Diese erstrecken sich von überregulierten deutschen Verordnungen bis hin zu Bürgerprotesten und der berechtigten Frage, ob Städte wie London, Paris, Madrid oder Mailand mit ihren urbanen Strukturen für Berlin Vorbild sein können.
„Frankfurter Lösung“
Ein anderer Lösungsansatz wird in Frankfurt umgesetzt, wo nur wenig Platz für Hochhausneubauten zur Verfügung steht. Deshalb geht es hier vorrangig um die Modernisierung der Hochhäuser aus den 1960er und 1970er Jahren. Heutzutage sind Bestandshochhäuser oft die Aushängeschilder eines Viertels, im Positiven wie im Negativen. Die Modernisierung eines seit Jahren leer stehenden Büroturms, der auch äußerlich nicht mehr zeitgemäß ist, kann den gesamten Stadtteil revitalisieren. Der Umfang der Arbeiten ist allerdings nicht zu unterschätzen, immerhin müssen strenge gesetzliche Vorgaben bei der energetischen Modernisierung beachtet werden – in der Regel ist auch die Erneuerung der Aufzüge, Renovierung der Flure und Neugestaltung des Eingangsbereichs erforderlich. Um eine Konkurrenzfähigkeit gegenüber Neubauten sicherzustellen, sollte die Modernisierung große Flexibilität für Inneneinteilung und Nutzung bei hoher Flächeneffizienz aufweisen.
Zahlreiche Praxisbeispiele
Geleitet von solchen Kriterien, hat das Frankfurter Assmann Büro die Projektsteuerung für die Sanierung des Wohnhochhauses Onyx im Frankfurter Westend übernommen. Das ehemalige Bürohochhaus, Baujahr 1963 und ehemaliger Sitz der Versicherung AIG, 55 Meter und 15 Etagen hoch, wurde kernsaniert. Es entstanden Eigentumswohnungen mit kombinierbaren und flexiblen Wohnungsgrundrissen von 90 bis 460 Quadratmetern pro Etage. Nach der Modernisierung werden dort Spitzenpreise in der Main-Metropole von 14.000 Euro pro Quadratmeter aufgerufen – an Nachfrage mangelt es trotzdem nicht.
Ein weiteres Projekt, bei dem Assmann als Generalfachplaner und als Bauherrenunterstützung beauftragt ist, befindet sich im Frankfurter Westend. Die zwei ehemaligen Türme mit 17 und 27 Geschossen werden nach einer Kernsanierung inklusive der Erneuerung der Fassade eine neue Nutzung erhalten. Der 17-geschossige Turm wird zu einem Fünfsternehotel umgebaut. In dem 27-geschossigen Turm entstehen außer einer Kindertagesstätte rund 100 hochwertige Wohnungen. Die Umnutzung eines Hochhauses in Düsseldorf vom Verwaltungsgebäude zu einer Wohnnutzung ist derzeit in der Angebotsphase für die Gesamtplanung.
Ein Hochaus – viele Vorteile
Unter dem Strich haben höhere Gebäude in einer modernen Stadt vielfältige Vorteile: Man hat nicht nur einen tollen Ausblick, sondern sie bieten extrem viel Fläche, brauchen selbst aber nur wenig davon. Sie können für viele verschiedene Zwecke wie Büros, Hotels und Wohnungen genutzt werden. Und natürlich schafft ihre Errichtung oder Ertüchtigung viele Arbeitsplätze und stärkt so die Wirtschaft.
Gründe genug, um im weltweiten Ranking der Länder mit Hochhäusern ein paar Plätze nach oben rücken zu wollen.
[tabs]
[tab title=“Der Autor“]Martin Fecke (51) studierte an der Fachhochschule Bochum Bauingenieurwesen. Fecke, einer der geschäftsführenden Gesellschafter der Assmann beraten und planen GmbH in Dortmund ist ein erfahrener Projektleiter, auch bei internationalen Projekten wie für die Flughäfen in Wladiwostok und Rostow (Russland). Der gebürtige Briloner hat weitreichende Erfahrungen bei Neubauten und Sanierungsaufgaben in ganz Deutschland (unter anderem Hauptbahnhof München, Büro des Deutschen Bundestags in Berlin, Fußballarenen in Aachen, Chemnitz, Duisburg). Das Mitglied der Ingenieurkammern Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, der International Association for Shell an Spatial Structures sowie dem Verein beratender Ingenieure ist staatlich anerkannter Sachverständiger für Schall- und Wärmeschutz sowie für Gebäudeschäden.[/tab]
[/tabs]