Vom Ökobau zur Nachhaltigkeit
Strohballen, Lehmputz und Gründächer, so fing es an. Die „Ökoszene“ gab den herkömmlichen Baustoffen und Konstruktionen der Bauwirtschaft ordentlich Kontra. Das war und ist vielen Bauherren zu unkonventionell und abenteuerlich; Architekten fühlen sich in ihrer Entwurfsfreiheit eingeschränkt. Während in den 80er- und 90er-Jahren Ökoarchitekten und Baubiologen noch ein Nischendasein fristeten, hat sich deren Ansatz insbesondere innerhalb des letzten Jahrzehnts mittlerweile etabliert.
Zweifelsohne gab es auch nach den Verwendungszeiten von Asbest, PCB und den klassischen Holzschutzmitteln wie PCP, DDT und Lindan weitere Experimente und Entwicklungen in der Baustoffindustrie, die Unmögliches möglich machten: Abbindebeschleuniger für Estriche, damit Folgegewerke schneller arbeiten können, Abbindeverzögerer für Mörtel und Beton, damit längere Anfahrtszeiten und Standzeiten auf der Baustelle verkraftet werden, Flammschutzmittel, Weichmacher, Antioxidantien – ein buntes Programm, längst unüberschaubar für Bauherren und tatsächlich auch für Planer. Leider fielen und fallen die vielen positiven Errungenschaften in mehr oder weniger großem Maße zu Lasten des Wohlbefindens der Gebäudenutzer. Das Gefühl von Behaglichkeit ist oftmals eingeschränkt, unangenehme Gerüche, Atemwegsreizungen und allergische Reaktionen sind die wohl häufigsten Symptome.
Green Building Council – Zertifikat für nachhaltiges Bauen
In den USA wurde daher Anfang der 90er- Jahre der Green Building Council (USGBC) gegründet, eine Vereinigung von mittlerweile mehr als 10.000 Unternehmen, die ein Geschäftsfeld im „Green Building“ sehen. Mit dem ersten Zertifikat für nachhaltiges Bauen, dem Leed-Certificate, gelang es dem USGBC, Öffentlichkeit und Bauherren für die zahlreichen Auswirkungen des Bauens auf die Umwelt zu sensibilisieren. Über die Argumente Marketing und Wirtschaftlichkeit war ein neues Image für „gesundes Bauen“ entstanden: das nachhaltige Bauen. Seit 2007 haben wir in Deutschland durch die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen unser eigenes Zertifizierungssystem, in dem Zertifikate in Gold, Silber und Bronze vergeben werden. Und auch die öffentliche Hand zog nach und hat seit 2011 in einem ähnlichen System Regelungen für öffentliche Bauten geschaffen (Bewertungssystem Nachhaltiges Bauen). Jetzt wird nicht nur darauf geachtet, dass die Statik des Gebäudes stimmt und dass es keine Heizenergie verschwendet, sondern es wird im Rahmen der Zertifizierungen auch darauf geschaut, wie aufwendig ein späterer Abriss und die Entsorgung sein werden, wie die Ökobilanz der verwendeten Baustoffe aussieht, welche Immissionen chemischer Schadstoffe im Innenraum anzutreffen sind und eine ganze Menge mehr. Kontrolliert wird das Erreichte durch gewissenhafte Dokumentation, aber auch über Raumluftmessungen nach Gebäudefertigstellung – da gibt es dann nichts zu verheimlichen!
Ökologisch, nachhaltig, „grün“ oder emissionsarm bauen
Doch wie sind diese Ziele zu erreichen? Woher weiß man, welche Stoffe problemlos verwendet werden können? Baustoff-Prüflabels, wie zum Beispiel der Blaue Engel, geben hier nur eine sehr grobe Orientierung; tatsächlich sind chemisches Wissen, Erfahrung und Fingerspitzengefühl gefragt, damit es in einem Neubau oder sanierten Gebäude auch behaglich wird. Architekten können das sicher nicht standardmäßig leisten, dafür ist das Wissen viel zu speziell. Das Ziel, ökologisch, nachhaltig, „grün“ oder emissionsarm zu bauen, muss für alle Projektbeteiligten verbindlich sein, und sie müssen entsprechend mit den nötigen Informationen versorgt und zum Teil auch angeleitet werden. Im Rahmen von Ausschreibungen werden Arbeitsweisen und Produktvorgaben konkretisiert und zu verwendende Produkte einzeln auf deren Inhaltsstoffe und ihre Bedeutung für den Innenraum geprüft. Da ist viel gewonnen, wenn möglichst früh ein kompetenter Baubiologe am Projekt beteiligt ist, am besten schon bei der Vorentwurfsplanung.
Baubiologe – Planer, Architekten und Handwerker
Ist das alles, was mit biologisch bauen gemeint ist? Sicher nicht. Es gibt immer noch die ganz Konsequenten, die tatsächlich in erster Linie mit „puristischen“ Baustoffen arbeiten, Baustoffe wie Flachs, Hanf und Holzweichfaser, die Holz und Ziegel bevorzugen und Stahlbeton oder Steine aus Porenbeton sowie Gipsputz verschmähen.
Was ist eigentlich ein Baubiologe? Ein genau definierter und geschützter Begriff wie Rechtsanwalt oder Architekt ist diese Berufsbezeichnung nämlich nicht. Da gibt es nicht nur Planer und Architekten, sondern auch Handwerker, die ökologisch orientiert arbeiten und sich Baubiologen nennen. Auch mancher Rutengänger beansprucht diese Bezeichnung für sich. Die wesentlichen Unterscheidungen sind jedoch:
- Baubiologische Planer/Architekten
- Baubiologische Handwerker
- Baubiologische Sachverständige/Fachingenieure
Ausbildungsmöglichkeiten zum Baubiologen
Beim Öko-Zentrum Nordrhein-Westfalen werden baubiologische Planer in einem Fernlehrgang ausgebildet. Diese Ausbildung richtet sich in erster Linie an interessierte Planer/Architekten, die einen Einblick in die Gebäudediagnostik haben möchten.
Am Institut für Baubiologie und Nachhaltigkeit (IBN) wird in der Grundausbildung zum „Baubiologen IBN“ bewusst ein ganzheitlicher, aber naturwissenschaftlicher Ansatz verfolgt. Zugangsvoraussetzungen für den Fernlehrgang gibt es keine, aber wer ein natur- oder ingenieurwissenschaftliches Studium vorweg absolviert hat, dem fallen das Selbststudium und die Arbeit als Baubiologe nachher sicher leichter. Für diejenigen, die sich im Sachverständigenbereich betätigen wollen, gibt es beim IBN auch noch die Möglichkeit, die Ausbildung um den „Baubiologischen Messtechniker IBN“ zu erweitern. Hier wird Wissen über Messverfahren und Messgeräte sowie wichtige Grundlagen für die Gebäudediagnostik vermittelt. Nichtsdestotrotz gibt es noch vieles, was nach dem Ausbildungsabschluss selbst erlernt werden muss – so fundiert und umfangreich wie ein Hochschulstudium kann ein Fernlehrgang eben nicht sein, dafür ist hier allerdings der Praxisbezug höher als bei vielen Hochschulstudiengängen.
Der Blick über den Tellerrand: Ganzheitlich arbeiten
Wer ganzheitlich arbeitet, was von Baubiologen erwartet werden sollte, kennt nicht nur emissionsarmes Bauen in Bezug auf chemische Ausdünstungen aus Baustoffen, sondern kümmert sich auch um die Vorbeugung (bei Neubauten) und um die Beseitigung (im Bestand) von Schimmelpilzschäden. Außerdem sollte er in der Lage sein, zu physikalischen Einflussgrößen (elektrische, magnetische und elektromagnetische Felder, umgangssprachlich häufig als „Elektrosmog“ bezeichnet) Auskunft geben zu können. Technische Abschirmungen gegen Hochfrequenzstrahlung werden zum Beispiel auch bereits im Einfamilienhausbereich von Baubiologen konzipiert, begleitet und messtechnisch kontrolliert.
Über ein funktionierendes Netzwerk von gut ausgebildeten Baubiologen können alle Fachgebiete über einen Ansprechpartner abgedeckt werden. Dieses Ziel der Vernetzung und der Qualitätssicherung durch Fortbildung, Messgerätevergleiche, Ringversuche und Tagungen verfolgt der Berufsverband Deutscher Baubiologen. Hier sind über eine Postleitzahlensuche auf der Website www.vdb-baubiologen.de oder über einen kostenfreien Anruf unter 0800 / 2001 007 in der VDB-Geschäftsstelle schnell die nächstgelegenen baubiologischen Sachverständigen zu finden.
Caren Virnich, Architektin und Baubiologin
IBU, Mönchengladbach
Mitglied des Vorstands im
Berufsverband Deutscher Baubiologen