Kreativ für regenerativ
Der Einfluss französischer Einwanderer auf die Architektur im Norden der Hansestadt Bremen ist unübersehbar. Die klassizistische Villa in der heutigen Richthofenstraße 70 des Ortsteils St. Magnus, die 1871 vom namhaften Baumeister Heinrich Müller im Auftrag des Kaufmanns Johann Rauch gebaut wurde, ist ein deutlicher Beleg dafür. Das dreigliedrige Gebäude wuchert geradezu mit Fassadenschmuck und erinnert mit seiner gestalterischen Vielfalt an ein verwunschenes Märchenschloss. In der Bremer Denkmalliste wird die Immobilie unter „Rauchs Landgut“ geführt. Bekannter ist sie unter dem Namen „Haus Richardson“. Namensgeber war ein Fischhändler, der das Kleinod erworben hatte, bevor es in die öffentliche Hand überging. Über mehr als drei Jahrzehnte fanden darin behinderte Menschen ein Zuhause – nach einer Komplettsanierung ist die Villa nun zu einem Firmensitz geworden.
Angesichts fehlender Mittel für eine dringend erforderliche Komplettsanierung entschloss sich der Trägerverein des Heims für behinderte Menschen, das Bremer Jugendgemeinschaftswerk, das Gebäude an die Energiequelle GmbH zu veräußern, um mit dem Geld ein modernes, den heutigen Anforderungen entsprechendes Haus in der historischen Parkanlage zu bauen. Der Erwerber hat sich den erneuerbaren Energien verschrieben und führte auf diesem Wege seine drei über St. Magnus verstreuten Standorte zusammen.
In ihrer 140-jährigen Geschichte hatte die Kaufmannsvilla die unterschiedlichsten Nutzer beherbergt, auf den Einzug einer aufstrebenden Bremer Firma musste sie erst vorbereitet werden. Architekt Uwe Meier wagte den Spagat, den Ausbau zu einem maßgeschneiderten Firmensitz mit der denkmalgerechten Sanierung des Gebäudes zu verbinden. Er ist seit 30 Jahren als Architekt tätig und hat sich mit seinem Büro hochwertigem Bauen jeder Dimension verschrieben. Es sei darum gegangen, in einem historisch wertvollen Gebäude unter Berücksichtigung denkmalpflegerischer Aspekte Platz zu schaffen für anspruchsvolle ingenieurtechnische Arbeit, brachte der Architekt sein Anliegen auf einen Nenner. Das habe zunächst eine umfangreiche Recherchearbeit vorausgesetzt, um herauszufinden, was bautechnisch vom Ursprung her vorhanden gewesen sei und was sich an Makulatur angesammelt habe. Festgestellt wurde unter anderem, dass die Dachlast nicht auf den Außenmauern, sondern auf dahinter angeordneten Ständern ruhte, was sich als günstig für spätere bauliche Maßnahmen erweisen sollte. Die Bestandsaufnahme erbrachte neben der Wiederentdeckung wertvoller Bausubstanz aber vor allem die Erkenntnis, dass ohne die Aufstockung des Hauses die geplante Nutzung aus Mangel an Arbeitsplatz nicht möglich war. „Der Körper des Gebäudes bot sich für das Hinzufügen eines Staffelgeschosses geradezu an“, unterstrich Architekt Uwe Meier.
Die auskragenden Gesimse stellten eigentlich einen Bruch dar. Auf alten Fotos sei ein Balusterband als Dachabschluss zu erkennen gewesen. An seine Stelle sollte in Wiederaufnahme der gestalterischen Idee ein kleinteiliges Fensterband treten. Die Denkmalpfleger der Hansestadt waren davon wenig begeistert. Am Ende ließen sie sich durch das Argument überzeugen, dass es keinen Sinn macht, ein Gebäude in seinem ursprünglichen Zustand zu belassen, wenn sich dafür kein Nutzer findet. Die Aufstockung wurde so behutsam vorgenommen, dass sie die Dominanz des alten Baukörpers in keiner Weise beeinträchtigt. In Holz und Glas ausgeführt, lässt sie aber keinen Zweifel an ihrer Zeitbezogenheit.
Fassade übertrifft ursprüngliche Schönheit
Während im Gebäudeinnern im Sinne des Funktionswandels erhebliche Eingriffe erforderlich waren, stand bei der Sanierung der Gebäudehülle neben der funktionellen Aufarbeitung die Bewahrung überlieferter baulicher Schönheit im Vordergrund. Auf der Fassade hatte nicht nur die Zeit, sondern auch der wechselnde Zeitgeschmack seine Spuren hinterlassen, sodass es Mühe kostete, dem originalen Putz auf den Grund zu kommen. Frühe Farbigkeit konnte nicht nachgewiesen werden. Gefragt waren deshalb bei der Sanierung neben Sachverstand vor allem Kreativität und Einfühlungsvermögen.
Bei der Ausschreibung erhielt die Nagengast GmbH den Zuschlag. Das alteingesessene Familienunternehmen besitzt nicht nur die notwendige Kompetenz, sondern auch die „erforderliche Schlagkraft“, schätzte Uwe Meier ein. 1924 von Malermeister Heinrich Nagengast gegründet, hat sie sich besonders in den 60er- und 70er-Jahren zu einem leistungsfähigen Unternehmen entwickelt, das sich erfolgreich auf dem Markt behauptet und mit seinen bis zu 90 Mitarbeitern in der Lage ist, hohen Anforderungen gerecht zu werden. „Wir sind dann zufrieden, wenn die Erwartungen des Bauherrn übertroffen werden.“ Der Technische Geschäftsführer Malermeister Marco Glawion, selbst in der Firma großgeworden, verweist mit Stolz darauf, dass das Facharbeiterpotenzial zu einem großen Teil aus den eigenen Reihen stammt und über das Rüstzeug für anspruchsvolle denkmalpflegerische Aufgaben verfügt. Mit Bauleiter Michael Nutz, ebenfalls Eigengewächs, war er sich darin einig, dass die Wiederherstellung der Fassade in ihrer Vielfalt eine solche Herausforderung war.
In Abstimmung mit Denkmalpflege, Planer und Auftraggeber fiel die Entscheidung, auf die Fassade einen dem Charakter des Denkmals angemessenen silikatischen Anstrich aufzutragen, der eine Reihe von bauphysikalischen Forderungen erfüllen musste. Dazu gehörten in erster Linie ein gutes Füll- und Deckungsvermögen sowie hohe Stabilität und Witterungsbeständigkeit. Nach Rücksprache mit dem Hersteller fiel die Wahl auf Histolith-Quarzgrund, eine hochwertige Zwischen- und Endbeschichtung aus dem Sortiment von Caparol, Ober-Ramstadt. Sie erzielt durch eine Doppelverkieselung sowohl mit dem Untergrund als auch der Anstrichschicht eine hervorragende Standfestigkeit. Weil Qualität ihren Preis hat, mussten gewichtige Argumente ins Feld geführt werden, um den Planer, der das Budget nicht aus dem Auge verlieren darf, dafür zu gewinnen. Am Ende gaben Erscheinungsbild und Langfristigkeit der Lösung den Ausschlag.
Die Oberfläche wird erlebbar gemacht
Die Histolith-Beschichtung verlangt einen schmutzfreien, tragfähigen Untergrund. Nach aufwendiger Entfernung der Altanstriche wurde die Fassade gründlich gereinigt und gewaschen. Besondere Sorgfalt verlangte der Fassadenschmuck. Gesimse, Friese und Baluster wurden abgebeizt, ehe sie ihre Nachwäsche erhielten. Der Anstrichaufbau, so Bauleiter Michael Nutz, begann mit einer Grundierung, der sich eine ganzflächige Ausgleichsspachtelung anschloss, um Beschädigungen der Putzschale zu eliminieren. Erst dann erfolgte per Bürste der Auftrag von Histolith-Quarzgrund. Die Beschichtung lasse sich sehr gut verarbeiten, erläuterte der Bauleiter. Es sei aber notwendig gewesen, immer wieder auf eine gleichbleibende Konsistenz des Produkts zu achten. Mit ihren Quarzbestandteilen sorgt sie für eine strukturierte Oberfläche, die „erlebbar“ ist, wie Architekt Meier feststellte.
Ein Gewinn für das Gebäude ist die Zweifarbigkeit, für die es kein historisches Vorbild gibt. Der Entwurf der Farbdesignerin Sylvia Heitmüller vom Caparol Farb-Design-Studio Ober-Ramstadt regte eine kreative Diskussion an, die am Ende zu einer farblichen Hervorhebung der Schmuckprofile gegenüber der in einem matten Gelbton gehaltenen Fassade führte. Im Ergebnis der von allen Beteiligten mit viel Engagement und Gemeinschaftssinn ausgeführten Sanierung konnten vorhandene Vorbehalte gegen den Einzug einer zukunftsorientierten Firma in ein erhaltenswertes Baudenkmal ausgeräumt werden. Von Anwohnern und Bürgerschaft wurde die Neugeburt des Hauses Richardson als Firmensitz von Energiequelle mit Zustimmung und Wohlwollen aufgenommen.
Wolfram Strehlau