Das Wort „Bauwerksbegrünung“ ist als Bezeichnung für die gleichnamige Fachvereinigung vor nunmehr 25 Jahren sehr vorausschauend gewählt worden. Zunächst dominierten Herausforderungen rund um die Dachbegrünung, was sich auch an der entsprechenden Mitgliederstruktur zu erkennen ist. In den letzten Jahren gewinnen „Fassadenbegrünungen“, oder besser „bodengebundene beziehungsweise wandgebundene Begrünungen“ starkes Interesse. Und das weltweit.
Von Gründächern über Vertikalgärten bis zur Innenraumbegrünung
Kontinuierlich steigt der Anteil der Mitglieder, die sich diesem Bereich widmen. Das dritte Standbein, die „Innenraumbegrünung“, scheint noch etwas zu schlummern. Während die flächigen bodengebundenen Innenraumbegrünungen immer in Konkurrenz zu anderen Raumnutzungen treten, entwickelt sich die vertikale Innenraumbegrünung stetig ohne diese Flächenkonkurrenz. Die vertikalen Innenraumbegrünungen bieten eine faszinierende Raumgestaltung und gleichzeitig die Möglichkeit zur besseren Raumklimatisierung.
Fehlte lange Zeit die richtige Übersetzung des Worts Bauwerksbegrünung ins Englische, nimmt die Akzeptanz der Übersetzung als „Green Infrastructure“ ständig zu. Das ist nicht zuletzt der Grund, die im Jahr 2007 übergeordnete Fachvereinigung der Bauwerksbegrünung Green Infrastructure zu nennen, gleichwohl gab es zunächst Kritiker, die das Wort Dachbegrünung auch im Vordergrund dieser Vereinigung sahen und zunächst bei den Forschungsfragen auch im Mittelpunkt stand. Aktuell ist der Begriff Green Infrastructure auch in der Europapolitik angekommen. Arbeitsgruppen und Arbeitshilfen erläutern für die 28 europäischen Mitgliedsstaaten diesen Begriff, entsprechende Broschüren mit zahlreichen Literaturquellen sind kostenfrei bei der EU abrufbar (siehe Links1). Es handelt sich um eine sehr dynamische Informationsquelle mit häufig wöchentlichen Updates. Auch wenn Green Infrastructure von einigen Befürwortern als neues Zauberwort für alle möglichen Maßnahmen des Bauens mit Vegetation genommen wird – also vom Küstenschutz über ländliche Räume bis hin zu den Städten –, ist in den Kommunen und mit den Maßnahmen im Gebäudeumfeld ein zentrales Einsatzgebiet umschrieben. Begrünte Dächer und Fassadenbegrünungen werden in den EU-Broschüren ausdrücklich hervorgehoben (siehe Links2); das ist im Grunde eine Superwerbung für die Fachvereinigungen.
Grüne Infrastruktur als bauliche Lösung
Die Grüne Infrastruktur hat sich zu einem Maßnahmenkatalog entwickelt, der objektbezogen angewandt werden kann. Im Detail gibt es viele Schnittpunkte zwischen unterschiedlichen Fachdisziplinen rund um das Bauen. Allen gemeinsam ist, dass die Bedeutung der Pflanze mit ihren Funktionen der Verschattung, Verdunstung, Ästhetik sowie Biodiversität im Zentrum der baulichen Lösungen steht. Das ist nicht nur für die grünen Berufe eine neue Herausforderung.
Gerade bei den Technikfächern der Bauindustrie besteht mancherorts noch Berührungsangst, ob anstelle von Pflanzen nicht doch lieber eine technische Lösung genommen werden sollte. Grüne Infrastruktur an der Schnittstelle zwischen Bautechnik und grünen Berufen bedeutet viel Entwicklungsarbeit. Diese Lücke zu schließen entschloss man sich in Österreich mit der Einrichtung von eigenen Fortbildungskursen. Es ist eine Herausforderung an die universitäre Ausbildung, diesen Blick über den Tellerrand in den Lehrplan zu integrieren, um wirklich „Green Buildings“ zu realisieren.
Stararchitekten greifen immer öfters auf Bauwerksbegrünung zurück
Gut ist es, dass es bereits eine Reihe von Stararchitekten gibt, die ihre Gebäude in Green Buildings verwandeln, lange bevor sich die Richtlinien und Normen die letzten Grauzonen bei der Bauwerksbegrünung geschlossen haben. Hervorzuheben seien hier Projekte etwa von Emilio Ambasz, Bjarke Ingels oder Jean Nouvel. Allerdings sind die ambitioniertesten Gebäude eher außerhalb Deutschlands, häufig sogar außerhalb Europas realisiert. Grüne Infrastruktur wird zu einer Toolbox mit Maßnahmen der Bauwerksbegrünung einerseits und den gewünschten funktionalen Effekten, etwa dem sparsamen Umgang mit Energie, Wasser und Grundfläche, andererseits. Der Integration lokaler Biodiversität kommt bei diesen Bauprojekten eine besondere Rolle zu, auch wenn diesen Ansprüchen nicht immer voll genüge getan werden kann.
Ziel kann es sein, dass der ökologische Fußabdruck eines Gebäudes schließlich auch mit realisiertem Gebäude nicht größer ist als vor Beginn der Baumaßnahmen. Die Vegetation funktional zur „Ökosystem-Dienstleistung“ einzusetzen ist eine weitere Forderung in diesem Arbeitsfeld. Es ist zwar ein etwas anderes Verständnis als bei konventionellem Baugeschehen, für den bestehenden Garten- und Landschaftsbau stellt es im Grunde nur eine neue Herausforderung dar, die mit bestehendem Know-how schon weitgehend gelöst werden kann. Green Infrastructure ist eine Werbung für mehr Grün am Bau und kann die Bekanntheit der Branche entsprechend steigern.
Der dritte Schritt dieser neuen Sichtweise ist es, in drei Stufen zu denken, die Bauphase, die Nutzungsdauer und die Recycling-Phase. Auch die Gebäudebegrünung muss sich hier die Frage gefallen lassen, ob die gewählten Produkte nach der Nutzungsphase gut abbaubar und möglichst wiederverwertbar sind. Die Life-Cycle-Analyse ist hier das entsprechende Handlungswerkzeug; es wirkt manchmal noch etwas sperrig. Für die Recycling- Phase setzten sich jetzt erst langsam Begriffe wie Cradle-to-Cradle-Konzepte durch (siehe Links3), die hierfür schon komplette Konzepte bereithalten, die es auf weitere Materialien anzuwenden gilt.
Die Ikone der Gebäudebegrünung
Der aktuelle Begrünungsboom der Grünen Infrastruktur hat zwar viele Väter, aber aktuell einen herausragenden Star, der die Begrünungsbereitschaft bei Investoren erheblich angeregt hat. Patrick Blanc, der promovierte Biologe und Lehrende für tropischen Pflanzen, ist unbestritten der visionäre Künstler, der in der Zusammenarbeit mit Stararchitekten mittlerweile seit mehr als zehn Jahren Vertikalgärten entwirft, die auf allen Kontinenten der Welt realisiert wurden. Diese Ikone der Gebäudebegrünung, die ähnlich exzentrisch ist wie seinerzeit Hundertwasser, ist zum Ehrenmitglied des World Green Infrastructure Network (WGIN) gewählt und offiziell hierzu im Oktober 2014 während des Weltkongresses (WGIC 2014) ausgezeichnet worden. Im Rahmen der Exkursion wurde der Investor des Gebäudes „One Central“ (Architekt: Jean Novel) ebenfalls ausgezeichnet. Im Rahmen des Vortragsprogramms in Sydney waren die Vorträge der beteiligten Firmenpartner aufschlussreich, das Auditorium konnte die schlaflosen Nächte der Verantwortlichen nachvollziehen, die vor der Aufgabe standen, etwa 500 Pflanzenarten bei diesem Projekt richtig zu platzieren. Interessant ist an dem Gebäude auch eine Lichtlenktechnik mit Spiegeln, die im Innenraum den Rolltreppenbereich mit Tageslicht versorgen und damit die Verbindung zur Innenraumbegrünung schaffen. Um zukünftig nicht nur Bauwerksbegrünung von Stararchitekten zu sehen, ist das entsprechende Regelwerk der FLL (2015) für die Wandbegrünung erforderlich, mehr Sicherheit bei vergleichbaren Projekten zu bieten.
Jahr/Monat | Stadt/Land | Schwerpunkt | Art | Teilnehmer |
2009/9 | Toronto/Kanada | Cities Alive | Kongress | 400 |
2010/9 | Mexiko Stadt/Mexiko | Grüne Stadtentwicklung | Kongress | 500 |
2011/9 | Indore/Indien | Wasser & Gebäudebegrünung | Konferenz | 250 |
2012/9 | Hangzhou/China | Gründächer und Living Walls | Kongress | 1600 |
2013/9 | Nantes/Frankreich | Wasser und Biodiversität | Kongress | 500 |
2014/10 | Sydney/Australien | Grüne Infrastruktur und Architektur | Kongress | 350 |
2015/10 | Nagoya/Japan | Kongress | ||
2016/10 | Bogota/Kolumbien | Kongress | ||
2017/9 (wird 2015 bestätigt) | Stuttgart/Deutschland oder Seoul/Korea |
Kongresse und Konferenzen sind eine adäquate Form, um einen Austausch über das Erreichte und Neuartiges zur Grünen Infrastruktur zu diskutieren. Innerhalb des WGINNetzwerks genießen die Kongresse besondere Bedeutung, jetzt stellt sich langsam eine Routine ein, dass deutlich vor dem Veranstaltungsjahr Land und Termin sowie der inhaltliche Schwerpunkt feststehen. Die offiziellen Tagungen unterliegen einem Assessment- Prozess, in dem die regionale Unterstützung durch Politik und Administration ein Entscheidungskriterium darstellen. Dank des regen Angebots, Kongresse auszurichten, ist der ursprünglichen Idee, nur alle zwei Jahre einen Kongress stattfinden zu lassen, ein jährlicher Rhythmus entsprungen.
Gesprächsstoff „Grüne Infrastruktur“
Entgegen einigen Erwartungen, sind die Themen um die Grüne Infrastruktur in den letzten Jahren nicht weniger, sondern mehr geworden – der Stoff scheint nicht auszugehen, wie denn eine regional angepasste perfekte Begrünung technisch und ökologisch zu entwickeln sei. Die Grundregel dieser Veranstaltungen ist es, dass aus drei Bereichen Experten zu Wort kommen sollen, der Politik, der Wissenschaft sowie Fallbeispiele von verantwortlichen Planern als Werkstattbericht vorgestellt werden. Parallelvorträge lassen sich bei einem auf zwei Vortragstage beschränktem Angebot nicht vermeiden.
Neben dem typischen Format von zirka 20- bis 40-minütigen Vorträgen gewinnen Experten- Hearings und Podiumsdebatten, die auf der Basis von Publikumsfragen interaktiv aufgebaut sind, an Bedeutung. Diese neue Form funktionierte sogar in China dank eines professionellen Übersetzungsservice. Die Gründachkongresse werden auch in Zukunft Bedeutung haben, um über Beispiele zu berichten, die zur Nachahmung anregen, und um einen persönlichen Austausch zu pflegen. Genauso sind im Detail eine Vielzahl von Fragen noch vorhanden, die es zu klären gilt. Der Informationsbedarf ist ungebrochen. Unterstützende Veranstaltungen für neue nationale Gruppen fanden in Indien (Bangalore, 2012) und zweimal im Iran (Shiraz) statt. Es bleibt spannend, die unterschiedlichen Stände zur Grünen Bautechnik und in Abhängigkeit des regionalen Baustils die Umsetzung der Gebäudebegrünung zu verfolgen.
Pflanzenverwendung bei der Bauwerksbegrünung
Große Unterschiede bestehen in der Pflanzenverwendung. Und hier schließt sich der Kreis zu Patrick Blanc. Auch in Deutschland ist im Sinne von vielfältiger Pflanzenverwendung – sei es unter gärtnerischen Aspekten oder zur Erhöhung der Biodiversität – noch viel mehr möglich. Vom entsprechenden Buch „Green Cities in the World“ (Briz et al., 2014), im April 2014 in Madrid offiziell vorgestellt, ist jetzt schon die erste Auflage nahezu verkauft. Eine zweite, ergänzte Auflage ist zum Termin des Kongresses in Nagoya 2015 geplant.
In Europa fast unbeachtet, entwickelt sich die Gebäudebegrünung auch in China hin zur umfassenden Grünen Infrastruktur. So fand dieses Jahr in Qingdao eine Gartenbau- Expo statt, die vier Millionen Besucher anlockte. Die meisten der thematischen Pavillons waren begrünt. Im Vorprogramm des diesjährigen nationalen chinesischen Gründachkongresses (19. bis 22. Oktober) konnte diese World Expo besucht werden. Der Kongress selbst lockte wieder deutlich über 1000 Teilnehmer an, zu etwa 80 Prozent chinesische Teilnehmer. Der Sprung von der Dachbegrünung in die Politik wurde mittels eines Bürgermeisterforums unternommen. Da in China eine zur EU vergleichbare Förderpolitik nicht besteht, war es interessant zu hören, wie hier die Baupolitik abläuft. Die Hoffnung der Veranstalter war es, mit dem Format des Bürgermeisterforums einen breiten internationalen Austausch zu initiieren und damit die Gebäudebegrünung noch besser bei Neubauprojekten zu verankern.
Es besteht jedenfalls ein großes Interesse, von den deutschen Beispielen zu lernen, aber auch in unserem Land ist der Begrünungskuchen, etwa im besten Falle in Berlin mit etwa 8 Prozent begrünter Dachflächen, weder mengenmäßig noch hinsichtlich seines Potenzial als Grüne Infrastruktur noch lange nicht gegessen. Vielleicht ergibt sich durch das große Interesse auf EU-Ebene ein erneuter Quantensprung für diese Techniken. Die Kongresse sind das Mittel, um Politikern deutlich zu machen, dass es sich um mehr als nur einzelne interessante Gebäude handelt.
Professor Manfred Köhler
koehler@hs-nb.de
www.worldgreenroof.org
www.facebook.com/worldgreen
Die Literatur
Briz, J., Del Felipe, I, Köhler, M. 2014: Green Cities in the World. Madrid. Die Links 1 http://ec.europa.eu/environment/nature/ecosystems/index_en.htm ) |