Vor nicht allzu langer Zeit ist in einer namhaften deutschen Wochenzeitung im Zusammenhang mit Wärmedämmung von „Müllbergen, so hoch wie die Alpen“ zu lesen gewesen. Die Redaktion hat zu diesem Vorwurf einen Fachmann, Dr. Wolfgang Setzler, Geschäftsführer des Fachverbands Wärmedämm-Verbundsysteme (WDVS) befragt.
Was ist dran an diesem plakativen Vorwurf der Medien, Wärmedämmung würde Müllberge, so hoch wie die Alpen verursachen?
Ganz ehrlich – nichts. Aber so ist es mit den Schlagzeilen: Sie müssen laut, schrill und auffallend sein, sonst gibt es keine Quote.
Haben Sie Beweise für diese Feststellung?
Ja sicher, sonst würde ich es so nicht sagen. Wir haben in den letzten 24 Monaten gemeinsam mit den wissenschaftlichen Partnern des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik und des Forschungsinstituts für Wärmeschutz München verbändeübergreifend geforscht, um genau diese haltlosen Vorwürfe zu widerlegen. Vor wenigen Wochen wurden die Ergebnisse auf einer Pressekonferenz im Rahmen der Bau 2015 in München vorgestellt. Die Studie ist entstanden im Rahmen der Antragsforschung der Zukunftsinitiative Zukunft Bau des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung.
Können Sie für die Leser die wesentlichen Erkenntnisse verständlich auf den Punkt bringen?
Selbstverständlich, denn es liegt unseren Verbänden – dem Industrieverband Hartschaum, der Qualitätsgruppe Wärmedämm-Systeme Österreich und dem Fachverband WDVS – sehr viel daran, dass diese Fakten und Kennwerte in den Wissenshorizont der Bauherren getragen werden. Und wer wäre hierzu besser geeignet als der Energieberater?
Warum messen Sie als Fachverband dem Energieberater eine solch große Bedeutung zu?
Der Energieberater hat in den meisten Fällen den Erstkontakt mit dem Bauherren beziehungsweise Hausbesitzer. Ihm vertrauen viele Bauherren, denn er berät ja bekanntlich produktneutral.
Kommen wir zurück zu den Fakten. Wie viel „Dämmstoff-Müll“ fällt wirklich an?
Laut unseres Forschungsprojekts zeigen sich die folgenden Ergebnisse. Erstens: Die verbauten WDV-Systeme aus den 70er-, 80er- und 90er-Jahren halten wesentlich länger als bisher angenommen. Zweitens: Die in diesen Jahren verlegten WDVS werden heute gemäß den gestiegenen Anforderungen der Energieeinsparverordnung im Renovierungsfall meist aufgedoppelt, und somit fällt auch hier derzeit kein Müll an. Abbildung 1 zeigt dies verständlich auf. Im Vergleich zum Matterhorn, der ja bekanntlich nur ein Berg von vielen in den Alpen ist, sind die heutigen Abfallmengen sehr gering.
Das Ergebnis überrascht mich. Können unsere Energieberater somit, was das Recycling von alten Wärmedämm-Verbundsystemen beziehungsweise Dämmstoffen angeht, sorglos in die Zukunft planen?
Sorglos sollten wir nie sein. Aber was das derzeitige Abfallaufkommen aus verbauten WDV-Systemen angeht, ist alles im Lot. Künftig werden die Mengen zwar ansteigen, aber immer noch gut beherrschbar sein, wie Abbildung 2 zeigt. Dennoch benötigen wir für die kommenden Jahre ganzheitliche Lösungen. Das heißt wir müssen weiter forschen und beispielsweise das Crea-Solv-Verfahren zur Praxisreife bringen. Im Technikum des Fraunhofer- Instituts für Verfahrenstechnik und Verpackung funktioniert es bereits.
Was ist das Crea-Solv-Verfahren? Könnten Sie dies etwas näher erläutern?
Gern. Bei diesem Verfahren wird der Dämmstoff EPS bereits vor Ort an der Baustelle zum Ausgangsprodukt Styrol eingeschmolzen. So reduziert sich der anfallende Dämmstoffabfall im Maßstab 1 zu 50. Dies verringert das Transportvolumen von Wertstoffen erheblich, und der Oberputz, die Armierungsmasse, der Kleber und eventuell Dübelteile werden so sorgfältig und sortenrein getrennt.
Das bedeutet, dass Sie für den Großteil der verbauten WDV-Systeme bereits ein schlüssiges Recycling-Konzept haben?
Ja, derzeit allerdings zunächst als Technikumlösung, wie Dr. Andreas Mäurer kürzlich anlässlich der Abbruchtage 2015 in Berlin erläuterte.
Wer ist Dr. Mäurer?
Er leitet in Freising am Fraunhofer-Institut für Verfahrenstechnik und Verpackung die Abteilung Kunststoff-Rezyklate. Er ist der geistige Vater dieser Erfindung.
Können mit diesem Verfahren auch Zusatzstoffe wie HBCD behandelt werden?
Ja, mit dem Crea-Solv-Verfahren kann HBCD vollständig ausgeschleust werden.
Und wann wird dieses Verfahren in Großserie verfügbar sein?
Das kann derzeit nicht mit einem genauen Datum fixiert werden. Wie bereits dargestellt, fehlen derzeit dafür die erforderlichen Abfallmengen. Für diese stoffliche Verwertung der EPS-Abfälle muss ein kontinuierlicher Massenstrom an verwertbarem EPS und die Abnahme des PS-Rezyklats zu kostendeckenden Preisen sichergestellt sein.
Und welche Lösung bieten Sie dem Markt bis dahin?
Wir forschen schon länger zu diesem Thema. Bereits 1996 wurden in der ersten Recycling-Studie hierzu Lösungen gefunden. Die thermische beziehungsweise energetische Verwertung der EPS-Abfälle ist ein ausgereiftes Verfahren und funktioniert bundesweit. Dennoch steht die Wiederverwertung der Rohstoffe im Fokus aller verantwortlich handelnden Personen. Wir müssen künftig noch stärker in Stoffkreisläufen denken und nicht in populistischen Schlagzeilen. Deshalb empfiehlt die Studie weitere Entwicklungen, die alle Bereiche des Lebenszyklus von WDVS betreffen. In Kürze werden die Untersuchungen zur Rückbaufähigkeit weiterer WDV-Systeme unter anderem mit Mineralschaum, Holzwolle-Leichtbauplatten und PUR fortgesetzt. Wer an der kompletten Studie interessiert ist, findet sie auf den Internet-Seiten des Fachverbands WDVS.
www.heizkosten-einsparen.de
Von 1996 bis Juni 2015 war Wolfgang Setzler Geschäftsführer des Fachverbands Wärmedämm-Verbundsysteme. Er verfügt über eine umfangreiche WDVS-Branchenkenntnis. |