Sind Klimaschutzgesetz und Solarpaket der große Wurf? Wohl eher nicht!
Die Ampel hat sich Mitte April auf mehr Solarenergie und neue Regelungen beim Klimaschutz geeinigt. Die Bundestagsfraktionen von SPD, Grünen und FDP haben sich auf die lange umstrittene Reform des Klimaschutzgesetzes und ein Paket zur Förderung der Solarindustrie geeinigt. Bereits im vergangenen Juni und August hatte die Bundesregierung diese Entscheidungen getroffen, wobei das Klimaschutzgesetz besonders im Fokus stand. Mit der Einigung der Koalitionäre wurde ein bedeutender Fortschritt erzielt. Sobald das Solarpaket formell vom Bundestag verabschiedet wird, muss es noch die Zustimmung des Bundesrates erhalten.
In der aktualisierten Version des Gesetzes bleibt die Verpflichtung bestehen, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 65 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Allerdings wird dies nicht mehr so stark nach einzelnen Sektoren bemessen wie zuvor. Früher waren die Sektoren einzeln für ihre Klimaziele verantwortlich, und bei Nichteinhaltung mussten sie Sofortmaßnahmen ergreifen. Insbesondere der Verkehrssektor hat bisher die Vorgaben nicht erreicht und wäre auf drastische Maßnahmen wie Fahrverbote angewiesen gewesen.
Gemäß dem neuen Gesetz werden nun alle Sektoren gemeinsam betrachtet, wobei Sektoren mit geringen Emissionen andere ausgleichen können. Dennoch behält jeder Sektor seine eigenen Ziele bei. Allerdings gibt es künftig Konsequenzen, wenn die Gesamtziele aufgrund eines Sektors nicht erreicht werden. Aus der Koalition verlautet, durch die Novelle dürfe kein Gramm CO2 mehr ausgestoßen werden. Mit dem Solarpaket gebe man gleichzeitig wichtige Impulse für den Ausbau der Photovoltaik, der Windkraft und Biomasse.
Das Gesetz enthält auch ein klares Ziel für das Jahr 2040: eine Reduzierung der Emissionen um 88 Prozent. Die Einhaltung dieses Ziels und des Ziels für 2030 ist verpflichtend für die Bundesregierung. Die Messmethode ändert sich ebenfalls: Anstatt rückwirkend das vergangene Jahr zu betrachten, soll nun vorausschauend überprüft werden, ob die zukünftigen Ziele erreicht werden können.
Zusätzlich zum Klimaschutzgesetz haben sich die Ampelparteien auf ein Solarpaket verständigt, das verbesserte Förderbedingungen, höhere Fördersätze und weniger Bürokratie für die Entstehung neuer Solaranlagen vorsieht. Eine Neuerung betrifft Balkonkraftwerke, die künftig einfacher angemeldet werden können. Auch die gewerbliche Nutzung von Photovoltaikanlagen, etwa auf Supermärkten oder Hallendächern, soll durch erhöhte Vergütungen gefördert werden. Der Ausbau der Windenergie wird ebenfalls angegangen, indem sogenannte Beschleunigungsgebiete eingeführt werden, um das Wachstum zu beschleunigen.
Die wichtigen Verbände der Energie-, Immobilien- und Wohnungswirtschaft sind sich weitgehend einig, dass damit eine große, schwere Kuh vom Eis ist. Jetzt müsse man aber die Regelungen anwenderfreundlich ausgestalten. Dem Bundesverband der Deutschen Industrie hingegen geht die neue Regelung zu weit. Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Holger Lösch sagte, die Bundesregierung bestätige mit der Novelle des Gesetzes erneut die „sehr ehrgeizigen“ Klimaziele Deutschlands. Unklar bleibe jedoch weiterhin, wie diese Ziele erreicht werden sollen. Die hohen Energiekosten seien eine enorme Belastung für die Industrie. Die Bundesregierung müsse schnell abgestimmte Antworten finden, um die drohenden Verlagerungen von Investitionen und Produktion ins Ausland zu verhindern. So weit, so normal.
Anderer Fokus, anderes Bild
Wenn man allerdings die Sache aus der Vogelperspektive betrachtet, kann man auch zu einer ganz anderen Einschätzung kommen, ohne gleich Klimaaktivist zu werden. Als Sprachmensch halte ich ohnehin nichts davon, das Klima zu schützen. Warum sollte es geschützt werden müssen? Dem Klima und der Erde ist es herzlich egal, was wir Menschen tun – und ob es uns gibt. Die Erde hat schon unter viel schlechteren Voraussetzungen Leben ermöglicht. Vor rund 500 Millionen Jahren begann die Zahl der Tierarten plötzlich exponentiell anzusteigen. Deshalb hat sich der Begriff „Kambrische Explosion“ eingebürgert. In dieser Zeit lag der Sauerstoffgehalt der Luft bei 3 bis 5 Prozent (heute 21%). Umgekehrt war die Kohlendioxid-Konzentration mit über 0,6 Prozent 15-mal höher als aktuell (0,04%). Solche hohen Werte sind in der gesamten Erdgeschichte nie wieder erreicht worden. Und trotzdem entwickelten sich damals die Vorläufer der Wirbeltiere, zu denen auch der
Mensch gehört. Eine Tatsache ist aber auch, dass wir Menschen unter solchen Bedingungen ohne technische Hilfsmittel nicht überleben könnten. Und ich habe noch gar nicht von den anderen Auswirkungen – zunehmende Stürme, Dürren, Starkregen, steigender Meeresspiegel und so weiter – gesprochen. Hunderte Millionen Menschen werden nach und nach ihre Existenzgrundlage oder ihren Lebensraum verlieren. Und dann dürfen wir dreimal raten, wohin diese Menschen aus Afrika und Asien wandern werden. Gegen die dann zu erwartenden Migrationsbewegungen nimmt sich die sogenannte Flüchtlingskrise aus wie ein Nachmittagsspaziergang des VDK. Da helfen dann auch keine Frontex-Zäune oder Push-backs von Bootsflüchtlingen auf dem Mittelmeer. Die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen auf Deutschland und Europa mag sich jeder selbst ausmalen. Und wer noch immer denkt, der Klimawandel sei Zukunftsmusik, dem empfehle ich, sich mit Bauern zu unterhalten. Denn die leben von und mit der Umwelt und beobachten die Veränderungen seit Jahrzehnten.
Menschenschutz statt Klimaschutz
Und wenn wir jetzt aus der Vogelperspektive mal wieder zurückschauen auf den Gebäude-Sektor, dann sehen wir, dass die Folgen des Klimawandels Infrastruktur und Bausubstanz in ganz besonderem Maße betreffen. Bestandsgebäude können aufgrund ihrer Konstruktion (geringer Sturmwiderstand) oder ihres Standorts (zum Beispiel in überschwemmungs-, erdrutsch- und lawinengefährdeten Gebieten) besonders klimaanfällig sein. Es gibt praktisch keinen veränderten Klimazustand und kein Extremwetterereignis, das Gebäude nicht beschädigen oder unbrauchbar machen könnte: Anstieg des Meeresspiegels, Starkregen und Überschwemmungen, extreme Kälte oder Hitze, starker Schneefall, stürmische Winde.
Auch der Sektor Energieversorgung ist bereits vom Klimawandel betroffen, und das dürfte sich in Zukunft noch verschärfen. Der Bedarf an Heizenergie in Nord- und Nordwesteuropa wird zwar sinken, der Energiebedarf für die Kühlung in Mittel- und Südeuropa jedoch stark zunehmen. Das wird den Spitzenstromverbrauch im Sommer weiter in die Höhe treiben. Ein weiterer Temperaturanstieg und zusätzliche Dürren könnten die Verfügbarkeit von Kühlwasser für Heizkraftwerke im Sommer (und damit die Energieversorgung) senken, während zugleich mehr Strom für Klimatisierung benötigt wird. Deshalb ist mein Begriff nicht Klimaschutz, sondern Menschenschutz. Und unter dieser Prämisse wird das Klimaschutzgesetz durch de-facto-Abschaffung der Sektorenziele ausgehöhlt. In den letzten Jahren haben die Bereiche Verkehr und Gebäude immer wieder die Ziele nicht erreicht – ohne Konsequenzen. Der Vorteil der alten Regelung lag eben genau darin, dass man genau sehen konnte, welcher Sektor wie viel Treibhausgas verursacht und welche Fortschritte er gemacht hat. Wenn jetzt die Sektorenziele abgeschafft werden und eine große Gesamtrechnung aufgemacht wird, verlieren sich die Überschreitungen in der Masse. Eine Gesamtrechnung verschleiert den Handlungsdruck in den Sektoren.
Schon heute hinkt Deutschland bei der Einhaltung der Treibhausgasemissionen hinterher, und dieses Klimaschutzgesetz wird das Tempo weiter drosseln. Die Auswirkungen der Klimaveränderungen sind zu gefährlich, um die nötigen Maßnahmen mit langwierigen Überprüfungen weiter auszusitzen. Was bleibt, ist die ewig junge Frage: Wer soll das bezahlen? Doch am Ende zahlen wir alle auf die eine oder andere Art.
Oliver Mertens