Intelligente Fassaden entstehen durch vernetztes Denken, den Einsatz innovativer Produkte und auf der Grundlage digitaler Planungsprozesse. In einem Pilotprojekt hat der Fachverband für vorgehängte hinterlüftete Fassaden(VHF) diese Planungsprozesse vereinheitlicht und mit dem BIM-Fachmodell für die Vorgehängte Hinterlüftete Fassade einen Meilenstein der Digitalisierung in der Baubranche gesetzt.
Zusammen mit 13 Arbeits- und sieben Redaktionsgruppen unter der Leitung von Winterfeld und Oliver Fröhlich (BWM) entstand in sieben Jahren das VHF-BIM-Fachmodell, das mit heutigem Stand das VHF-Prozessmodell, den Ansatz der Teilmodelsystematik, eine neutrale maschinenlesbare Datenstruktur aller VHF-Konstruktionsgruppen und deren Komponenten sowie deren internationale Verfügbar- und Nutzbarkeit enthält.
Breite, Länge, Höhe: „spezifische DNA“ an Merkmalen definiert
„Während der Arbeit am Fassadenmodell haben wir festgestellt, dass so banale Informationen wie Breite, Länge, Höhe bei den Komponenten der VHF in den verschiedenen beteiligten Unternehmen unterschiedlich verwendet werden“, erklärt Architekt und BIM-Experte Siegfried Wernik, der sich schon seit 25 Jahren und bei diversen internationalen Architekturbüros mit Merkmalen und Informationen von Objekten im Planungsablauf beschäftigt.
So wurden zusammen mit den Arbeits- und Projektgruppen 60 Klassen und über 500 Merkmale des VHF-Fassadenmodell nach den Regeln der DIN EN ISO 23386 definiert und die Struktur der beschreibenden alphanumerischen Informationen und Metadaten der Komponenten festgelegt. „Dadurch entsteht, wenn man so will, eine spezifische DNA jeder Komponente, die über das buildingSMART Data Dictionary (bSDD) international verfügbar ist“, fasst Wernik zusammen. So ist die Voraussetzung geschaffen, die Bauart der Vorgehängten Hinterlüfteten Fassade digital zu planen, international neutral auszuschreiben und zu dokumentieren sowie alle Fertigungs-, Liefer- und Montageprozesse aus digitalen Modellen heraus mit einheitlicher Nomenklatur zu steuern – ein Meilenstein in der Baubranche und beispielgebend für andere Bauarten und Branchen.
Visualisierung und Katalogisierung vereinfacht
Die Daten aus der jahrlangen Vorarbeit wurden vom Dienstleister CADENAS in einen elektronischen Produktkatalog implementiert und neutral visualisiert. In seinem Vortrag erläuterte Silvio Heinemann, Senior Manager eCATALOG bei der CADENAS GmbH, die herstellerneutrale Klassenstruktur mit spezifischen Auswahlmöglichkeiten sei es bzgl. Material, Brandschutz oder Geometrie. „Die standardisierte Katalogisierung und Visualisierung vereinfacht es Herstellern ihre Produkte auf Basis des VHF-Fassadenmodells zu erfassen und nutzbar zu machen“, beschreibt Heinemann das Ergebnis. Architekten und Planer können sich diese Daten dann als PDF oder CAD-Datei in den gängigen Formaten ausgeben lassen und für ihre Gebäudemodelle nutzen.
Praxistest an zentraler Schnittstelle zwischen Planer und Generalunternehmer
Um das VHF-BIM-Fachmodell frühzeitig einem Praxistest zu unterziehen und die Leistungsfähigkeit der erarbeiteten Struktur zu testen, wurden vielmo Architekten und ZÜBLIN gebeten, ein bereits realisiertes und mit der FVHF-Datenstruktur nachmodelliertes Projekt von der Planung bis zur Baustelle auf BIM-Anwendungsfälle hin zu simulieren. „Trotz ähnlicher Methoden hat uns das Projekt verdeutlicht, wie wichtig es ist einheitliche Prozesse zu haben“, beschreibt Nicolai Neumann, BIM Manager bei vielmo Architekten die Erkenntnis des gemeinsamen Tests mit ZÜBLIN. Die Daten, die in das Projekt eingeflossen sind, wurden im weiteren Verlauf ständig aktualisiert, sodass sie auch für die Erstellung der Leistungsverzeichnisse und Mengenermittlung genutzt werden können. Dank des digitalen Fassadenmodells können in Übersichts- und Positionsplänen auch komplexe Modelle vereinfacht dargestellt und vielfältige Informationen mit den Projektbeteiligten geteilt werden. „Außerdem werden frühzeitig virtuelle Besprechungen möglich, die insbesondere Laien helfen, sich ein Bild von dem Gebäude zu machen, aber auch für uns Architekten ein wichtiges Werkzeug bei Entwurfsentscheidungen sind“, berichtet Neumann aus der allgemeinen BIM-Praxis. Im Ergebnis zeigt sich, dass einheitliche Standards eine viel höhere Transparenz und Qualität des Projektes bieten und zu einer extremen Steigerung der Produktivität führen, zieht BIM Manager Neumann als Fazit.
BIM-Implementierung in der Lehre
Im letzten Beitrag des Tages begeisterten Prof. Dr. Ulrich Möller, Professor für Bauphysik und Baukonstruktion an der HTWK-Leipzig und Christian Irmscher, Spezialist für die BIM-Implementierung, die 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 19. Deutschen Fassadentages mit einer beeindruckenden Vorführung der Möglichkeiten, virtuelle Gebäudemodelle dreidimensional zu Visualisieren. Anschließend nutzten alle Anwesenden die exklusive Gelegenheit, das 3D-Modell des Pilotprojektes live in der BIM-Cave der HTWK-Leipzig zu begehen.
Einen Ausblick auf die weiteren Entwicklungen gab abschließend Ronald Winterfeld. Er wünschte sich, dass die vorgestellte Systematik Anregung für andere Digitalisierungsvorhaben von Bauarten und Bausystemen gibt und dass sich die FVHF-Datenstruktur durch vielfache Anwendung in der nationalen und internationalen Planung zu einem verbindlichen Standard entwickelt. „Die Aufgabe des FVHF wird es künftig sein, die Datenstruktur weiter auszubauen und gleichzeitig aktuell zu halten, die Aufgabe unserer Mitglieder und der ganzen Branche besteht darin, Prozesse zu entwickeln, auf deren Grundlage sich industrielle Abläufe in Fertigung, Lieferung, Montage und Dokumentation weiterentwickeln“, fasst Winterfeld zusammen.
Der FVHF unterstützt und fördert diese Prozesse auch weiterhin.
Aktuell ist eine zweiteilige FVHF-Leitlinie „VHF BAUART DIGITAL“ in Erarbeitung, die in den nächsten Wochen und Monaten publiziert wird.
- Teil 1 erläutert die Teilmodellsystematik, gibt einen Überblick über VHF-Datenstrukturen, Merkmalbeschreibungen und Attribute und beschreibt beispielhaft die Datenselektion für bestimmte Anwendungsfälle.
- Teil 2 stellt den Modellierungsprozess mit Blick auf Anforderungen, Ziele und Vorgehen in den Mittelpunkt.
Die Leitlinien vervollständigen die fundierte Schriftenreihen des Verbandes und stehen voraussichtlich ab Jahresende auf dem Fachportal unter www.fvhf.de zur Anwendung bereit.