Ende März 2022 stellte die damals frisch gebackene Bundesbauministerin Klara Geywitz noch frohen Mutes eine Studie vor, der zufolge kurzfristig nutzbares Bauland für rund zwei Millionen Wohnungen vorhanden ist.
Rund 53.000 Hektar Fläche, so haben es das Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung und das Institut der deutschen Wirtschaft für das Bauministerium ermittelt, sind ohne größeren Aufwand baureif. Damals hielt sie es für realistisch, auf der Fläche rund zwei Millionen Wohnungen zu bauen. Selbst bei konservativer Rechnung sei Platz für 900.000 Wohnungen. Die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte sich vorgenommen, jedes Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen, davon 100.000 öffentlich geförderte Sozialwohnungen. Das sei sowohl in den Metropolregionen als auch in den Mittelstädten und auf dem Land machbar. Von schnellem und günstigem Bauen würden Mieter und Bauherren profitieren.
Die Idee war gut, das Ansinnen löblich. Letztlich ist es, wie wir alle wissen, an der Realität gescheitert. Steigende Materialpreise und Zinsen im Verbund mit den Unwägbarkeiten des föderalen Baurechts machen den Wohnungsbau zu einem unkalkulierbaren Risiko. Oder um es mit Andreas Mattner, Präsident des ZIA, zu sagen: „Es geht im Wohnungsmarkt ums Überleben!“ Wohnungen werden zurzeit kaum noch gebaut, solche mit Sozialbindung schon gar nicht. Was das für den ohnehin schon angespannten Wohnungsmarkt in den Ballungsgebieten bedeutet, kann sich jeder an einer Hand abzählen. Es wird nicht besser.
An der internationalen Großwetterlage und den wirtschaftlichen Nachwehen der Pandemie lässt sich erst einmal nicht viel ändern. Am politischen Willen und Können im Bundesbauministerium und in der Regierungskoalition liegt es auch nicht. Warum also nicht den größten Bauverhinderer zurechtstutzen: die 16 Bauordnungen mit ihren teil- weise absurden Vorschriften. Doch das scheint in Deutschland trotz guter Vorsätze kaum möglich. Denn jedes Bundesland hegt und pflegt seine eigene Bauordnung und lässt sich dabei auch nicht gerne reinreden.
Im Ergebnis haben wir heute rund 20.000 Bauvorschriften. Im Jahr 1990 waren es noch etwa 5.000. Im Ergebnis verzögert und verteuert der Hang zur kleinteiligen Regulierung das Bauen enorm. In der einschlägigen Führungskräfte-Literatur hat das Phänomen auch einen Namen: Micro Management. Das Delegieren und Kontrollieren bis auf die kleinste Ebene ist aufwändig, anstrengend, ineffizient. Die gleiche Praxis wird im deutschen Baurecht angewandt. Am Ende haben wir einen kleinteiligen und komplizierten Prozess, der keinem Beteiligten Spaß macht und am Ende den Preis für Wohnen in immer neue Höhen treibt.
Vom Bauantrag zur Fertigstellung in 18 Monaten
In den Niederlanden gelten ähnliche Standards wie in Deutschland. Und dennoch schaffen es unsere westlichen Nachbarn, dass zwischen dem Bauantrag und der Fertigstellung in der Regel nicht mehr als 18 Monate vergehen. In Deutschland ist mancher Bauherr schon froh, wenn ihm in diesem Zeitraum die endgültige Baugenehmigung vorliegt. Warum das so ist? Weil die Niederländer ihr Baurecht schon vor einigen Jahren auf den Prüfstand gestellt und entschlackt haben. Herausgekommen ist ein Rechtsrahmen, der zwar verbindliche Ziele definiert, den Weg dorthin aber dem Bauherren überlässt. Wie der letztlich Schallschutz, Energieeffizienz und Co. einhält, bleibt ihm überlassen.
Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, das Baurecht zu vereinfachen und zu standardisieren. Allerdings ist das nicht so ein- fach, wenn 16 Länder mit völlig unterschied- lichen Agenden mit am Tisch sitzen. Zwar gibt es seit mehr als 20 Jahren die Musterbauordnung (MBO) und damit den Versuch, das Baurecht zu vereinheitlichen. Doch einfacher ist es dadurch auch nicht geworden, denn in der Praxis scheren sich viele Länder herzlich wenig darum, ob ihre Vorgaben mit der MBO kompatibel sind oder nicht. Das Bundesinstitut für Bau, Stadt und Raumforschung (BBSR) hat die MBO mit den 16 LBO verglichen und kommt zu dem Schluss, dass „sich die einzelnen Landes- bauordnungsbestimmungen von Bundesland zu Bundesland bereits in ihrer Formulierung zum Teil deutlich voneinander unterscheiden“.
Den Schallschutz beispielsweise regelt jedes Bundesland auf seine Art. Oft haben die Kommunen zusätzliche Sonderregelungen. Von Vereinfachung keine Spur. Warum auch? Schließlich ist das Baurecht eine der wenigen Spielwiesen, auf denen die Länder gestalten können. Und das beweisen engagierte Landesregierungen gerne. Zum Bei- spiel mit der Regelung in BadenWürttemberg, dass pro Wohnung zusätzlich zu den KFZ-Stellplätzen Fahrradabstellplätze geschaffen werden müssen. Aber wer hätte denn ahnen können, dass die Kosten dafür an Mieter und Käufer durchgereicht werden? Wer nicht rechnet wie Habeck bei Insolvenzen, dem sollte klar sein, dass jede zusätzliche und jede verschärfte Regelung das Wohnen weiter verteuert.
In 15 von 16 Ländern ist eine Raumhöhe von 2,40 Metern vorgeschrieben, nur in Berlin sind es 10 Zentimeter mehr. Manche Bauämter aber versuchen je nach Umgebungsbebauung Raumhöhen von bis zu 2,70 Meter durchzusetzen. Dadurch wird es deutlich teurer. Wenn die Raumhöhe statt der üblichen 2,40 Meter 2,70 Meter beträgt, steigen die Baukosten um 12,5 Prozent. Noch schlimmer ist es bei der Barrierefreiheit. Die wird im Detail landauf, landab völlig unterschiedlich geregelt. Das schlägt im Vergleich zu einer konventionellen Wohnung mit einem Plus von mehr als zehn Prozent zu Buche. Wer bezahlbaren Wohnraum will, der muss auf Standardisierung setzten. Im Baurecht und bei Gebäuden. Rund zehn Prozent ließe sich auch durch Typengenehmigungs-verfahren für bestimmte standardisierte Haustypen mit bundesweiter Baugenehmigung einsparen. Und deutlich schneller als bislang wäre das Genehmigungsverfahren auch. Bundesbauministerin Klara Geywitz, die in der Immobilien- und Wohnungswirtschaft als sachkundig und kompetent gilt, will „so viel bezahlbares Wohnen wie möglich zügig auf den Wohnungsmarkt bringen“. Das von ihr initiierte Bündnis bezahlbarer Wohnraum hat 187 Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen das Baurecht verschlankt werden sollte: Planung und Genehmigung entbürokratisieren, mehr Aufstockung, mehr Nachverdichtung und Umwidmung von Gebäuden, und den Neubau durch serielles Bauen beschleunigen. Das klingt gut und richtig. Doch oft hakt es an der Umsetzung.
Wozu brauchen wir noch die Bundesländer?
Der Bund müsste dafür sorgen, dass die Länder die Maßnahmen umsetzen, und die Länder müssten die Gemeinden motivieren, schneller Genehmigungen zu erteilen und Auflagen zu reduzieren. Nur leider passiert nichts. Seit Jahren werden die Länder bearbeitet, sich stärker an der Musterbauordnung des Bundes zu orientieren, aber manche Länder weigern sich schlicht. Weil sie es können. Bei dieser Absurdität könnte man sich fragen, wozu wir heute überhaupt noch die Aufsplitterung in 16 Länder brauchen. Nicht seit gestern spottet das befreundete Ausland in Brüssel darüber, dass Deutschland in der EU nicht mit einer, sondern mit 17 Stimmen spricht: mit einer Stimme pro Land und einer für den Bund.
Es ist ja nicht so, dass unsere heutigen Bundesländer Ausdruck einer natürlichen, also historisch gewachsenen, Ordnung sind. Das föderale System wurde uns nach 1945 von den westlichen Siegermächten vor allem deshalb aufgedrückt, weil damit eine Machtkonzentration verhindert werden sollte, die den Nachbarstaaten wieder gefährlich wer- den könnten. Ein damals durchaus verständlicher Gedanke. Im Frühjahr 1948 beschlossen die Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte und der Nachbarstaaten Niederlande, Belgien und Luxemburg auf den Londoner Sechsmächtekonferenzen, dass in den drei westlichen Besatzungszonen ein deutscher Teilstaat mit föderalistischer Ordnung errichtet werden solle. Die entstehende Bundesrepublik
Deutschland verankerte daraufhin den föderativen Aufbau Westdeutschlands am 8. Mai 1949 im Grundgesetz.
Ich weiß, das Rütteln am Föderalen System ist politisch nicht korrekt, weil es ja um unseren Pluralismus geht. Allerdings muss man sich auch überlegen, was unsere Demokratie stärkt. Das ewige Geschacher um Pfründe, Zuwendungen oder Meinungsführerschaft führt allzu oft zu Stillstand auf Bundesebene. Wichtige Gesetze werden im Bundesrat verwässert oder scheitern, weil für die Länder zu wenig dabei herausspringt. Wer den Weg von zustimmungspflichtigen Gesetzen durch Bundestag und Bundesrat verfolgt, fühlt sich manchmal wie auf einem Basar. Warum also sollte man nicht die Macht der Länder beschneiden? Mir fällt kein Grund ein.
Oliver Mertens