Sind nicht nur Dächer, sondern auch Fassaden begrünt, wirkt sich das insbesondere in unseren Städten positiv auf das Klima der näheren Umgebung sowie die Artenvielfalt aus. Die Immobilie heizt sich weniger auf, Insekten siedeln sich an und die Pflanzenwände filtern Schadstoffe und dämmen Lärm. Ein weiteres Plus: Das Grün schafft eine Wohlfühlatmosphäre. Wie eine bepflanzte Fassade sogar an der Nordseite eines Gebäudes funktioniert, das zeigt das auf Bau und Immobilien spezialisierte Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE am Büroneubau OWP12. Dort baut es derzeit ein innovatives Vorzeigeobjekt für den Eigenbedarf am Hauptsitz in Stuttgart.
Auf einer Fläche von mehr als 100 Quadratmetern erstreckt sich die Grünfassade am Büroneubau in Stuttgart-Vaihingen über drei Geschosse mit einer Höhe von 12 Metern. „In vielen Städten, und so auch in Stuttgart, wird die Fassadenbegrünung künftig in Bebauungsplänen festgeschrieben. Wir wollen mit unserem Neubau nicht nur mit gutem Beispiel vorangehen, sondern auch mitwirken, die notwendigen Umsetzungsgrundlagen zu entwickeln. Dafür testen wir am eigenen Gebäude, was hierfür zentral ist“, erklärt OWP12-Projektleiter Thomas Berner von Drees & Sommer. |
Hohe Brandschutzauflagen beim Hochhausbau beachten
Statt auf ein bodengebundenes, setzt man auf ein wandgebundenes Vlies-Substrat-System aus zu über 95 Prozent mineralischen Stoffen. „Die Pflanzen wachsen in einem Behältnis mit Substrat, das direkt an die Fassade angebracht wird. Vlies als Material ist wichtig, um im Hochhausbau den strengen Brandschutzanforderungen zu genügen. Wir haben daher ein Spezialvlies aus einem Basalt-Glas-Gemisch eingesetzt, das die Eigenschaft nicht brennbar aufweist. Die von uns eingesetzten Paneelen lassen sich außerdem gut vor fertige Fassaden setzen und sind vergleichsweise leicht“, erläutert Berner.
Kilian Lingen, Diplom-Biologe der Firma Vertiko, die das Grünkonzept für die neue Büro-Fassade begleitet, ergänzt: „Bis auf die Pflanzen und das Tropfrohr besteht das eingesetzte System aus nicht brennbaren Baustoffen. Im Jahr 2020 haben wir es bei Vertiko getestet und einen entsprechenden Großbrandversuch durchgeführt. Es hat sich gezeigt, dass das System durch seinen Wasseranteil die Fassade kühlt. So bleiben die Temperaturen im Hinterlüftungsraum weit unter den Werten, die bei einer reinen Metallfassade erreicht werden.“
Ausgeklügelter Pflanzenmix sorgt für abwechslungsreiches Bild
Statt einer eintönigen grünen Fläche soll sich an der Fassade der OWP12 nach der Anwachsphase ein lebendiges und dynamisches Bild über das Jahr hinweg ergeben. „Gemeinsam mit Drees & Sommer haben wir für das Gebäude OWP 12 einen Pflanzplan erarbeitet, der elf verschiedenen Pflanzen und sechs verschiedenen Farben enthält. Rein sommergrüne Pflanzen, immergrüne Pflanzen und die Blühphänologie sorgen für ein abwechslungsreiches Erscheinungsbild“, so Kilian Lingen. Zu den verschiedenen Arten gehören beispielsweise der China-Wald-Geißbart, die Bergenie Oeschberg mit schöner Herbstfärbung oder das Purpurglöckchen namens Heuchera Villosa.
Ausreichend Sonne und genügend Wasser
Obwohl es sich bei der Wand des OWP12-Bürobaus um eine Nordfassade handelt, sei die Sorge, dass die Pflanzen zu wenig Sonne abbekommen, unbegründet. „Notwendig ist eine bestimmte Menge an photosynthetisch aktiver Strahlung. Diese variiert je nach Pflanzenart und liegt bei der richtigen Pflanzwahl auch im Norden ausreichend vor. Wichtig ist jedoch die Möglichkeit, Wasser zuzuführen, wenn nicht ausreichend Regen zur Verfügung steht“, sagt Kilian Lingen.
Bewässert wird die Grünfassade der OWP 12 mit Regenwasser, das in drei Zisternen auf dem Gebäudedach gesammelt und über ein Freispiegelgefälle verteilt wird. „Für außerordentliche Heißperioden ist ein Nachspeisesystem aus dem Frischwassersystem berücksichtigt, das automatisch gesteuert wird“, so Drees & Sommer-Projektleiter Thomas Berner.
Kosten mittlerweile beherrschbar
Wird die Begrünung gut gemacht, dann erfährt eine Immobilie laut Thomas Berner künftig sehr wahrscheinlich eine stetige Wertsteigerung, die aber pauschal schwer zu beziffern ist. Auch die Kosten selbst sprechen seiner Ansicht nach nicht mehr dagegen, eine Grünfassade zu realisieren. „Wenn man die Kosten aufschlüsselt in Unterbau inklusive Dämmung, Bepflanzung und notwendige Technik wie automatische Bewässerung und Regenwasserspeicherung, so liegen wir für die Bepflanzung bei 150 Euro pro Quadratmeter und für die Technik bei rund 100 Euro pro Quadratmeter. Die Kosten der Unterkonstruktion betragen abhängig vom Aufbau und der notwendigen Dämmung 300 bis 500 Euro pro Quadratmeter. Die Kosten werden also kein entscheidendes Gegenargument mehr sein.“
OWP12: Als Plusenergiehaus konzipiert
Photovoltaikanlagen auf dem Dach und an der Südfassade, eine neu entwickelte, hochdämmende Fassadenkonstruktion, Erdwärme über Geothermie-Bohrungen sowie eine begrünte Nordfassade: Wenn Drees & Sommer die neuen Büros in Stuttgart-Vaihingen bezieht, werden die Mitarbeitenden in einem Gebäude nach Plusenergie-Standard residieren, das mehr Energie erzeugt als im Betrieb verbraucht wird und das so weit wie möglich der Cradle-to-Cradle-Forderung nach Kreislauffähigkeit entsprechen wird. Damit wird es allen zukünftig erwartbaren Anforderungen in Sachen Nachhaltigkeit gerecht. Und das trifft auch hinsichtlich der Modularisierung und Digitalisierung zu.
22 Millionen Euro betragen die Kosten für das vierstöckige Gebäude, das auf einer Bruttogrundfläche (BGF) von rund 7000 Quadratmetern einen großen Konferenzbereich, Bereiche für die Mitarbeiter wie eine Terrasse, eine Cafeteria und eine Kantine im Erdgeschoss bietet.