Mindestens 90 Milliarden Euro für nachhaltige Stadtentwicklung und soziale Wohnraumversorgung
Um die nachhaltige Weiterentwicklung der großen, im 20. Jahrhundert errichteten Wohnsiedlungen zu sichern, sind Investitionen in Höhe von 90 Milliarden Euro notwendig. Das hat eine von der Bau- und Wohnungswirtschaft beauftragte Studie ergeben, die auf der Fachkonferenz Weiterentwicklung großer Wohnsiedlungen in Berlin präsentiert wurde.
Die vom Deutschen Institut für Urbanistik und vom Kompetenzzentrum Großsiedlungen erarbeitete Studie zeigt auf der Basis einer repräsentativen bundesweiten Befragung von Kommunen und Wohnungsunternehmen auf, welche Herausforderungen zur Weiterentwicklung von großen Wohnsiedlungen bestehen. In den zwischen 1920 und 1980 errichteten Wohngebieten des überwiegend mehrgeschossigen Mietwohnungsbaus – den sogenannten großen Wohnsiedlungen – befinden sich rund vier Millionen Wohnungen für zirka acht Millionen Menschen. „Die Weiterentwicklung dieser Wohngebiete zählt nach Einschätzung der Gutachter allein schon aufgrund ihrer großen Dimension zu den zentralen Aufgaben der nachhaltigen Stadtentwicklung und sozialen Wohnraumversorgung“, sagte Axel Gedaschko, der Präsident des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), anlässlich der Präsentation der Studie. Die Siedlungen bieten bezahlbare Wohnverhältnisse für breite Schichten der Bevölkerung, erbringen wichtige Integrationsleistungen, die anderen Stadtquartieren indirekt zugute kommen und eröffnen den Kommunen Spielräume für eine sozialverträgliche Belegungspolitik.
„Für die Bauindustrie stellt gerade der in der Studie ermittelte Neubaubedarf in großen Wohnsiedlungen von jährlich 6500 Wohnungen mit einem Investitionsvolumen von 1 Milliarde Euro eine interessante Beschäftigungsperspektive dar“, ergänzte Marcus Becker, Vizepräsident des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, „denn Fakt ist, die Zuwanderung nach Deutschland hält an, unsere Städte wachsen weiter, und die Nachfrage nach bezahlbaren und qualitativ hochwertigen Wohnungen steigt. Es lohnt sich also, den seriellen Wohnungsbau aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken“, so Becker weiter. Die Bauindustrie verfüge dazu sowohl über die technischen Kompetenzen als auch über die entsprechenden Kapazitäten.
Große Wohnsiedlungen
Die Zukunft der großen Siedlungen ist mit Blick auf die absehbaren gesellschaftlichen Herausforderungen aus Sicht des Gutachtens perspektivreich. So kommt ihre kompakte Bebauung bei gleichzeitiger starker Begrünung den Anforderungen des Klimaschutzes und der Energiewende entgegen. Für ergänzenden Neubau nachgefragter neuer Wohnformen und Betreuungsangebote bieten sich Flächenpotenziale. Die in der Regel gute Ausstattung mit umbaufähigen Gemeinbedarfseinrichtungen erleichtert die Anpassung der Quartiere an den demografischen Wandel.
Optimistisch stimme, dass nach Jahrzehnten der Kritik eine ästhetische Umwertung der Großformen der Städtebaumoderne zu erfolgen scheint. Ein Beleg dafür sei die aktuelle Diskussion um die Renaissance des Hochhauses. Die großen Wohnsiedlungen sind als Modelle neuen Wohnens geplant und errichtet worden. Heute können in ihnen wiederum modellartig die neuen, mit dem Wohnen verbundenen gesellschaftlichen Anforderungen angegangen werden.
Quartiere brauchen Aufmerksamkeit
Dennoch weist das Gutachten auch auf aktuelle Herausforderungen für Kommunen und Wohnungswirtschaft hin. Die großen Wohngebiete haben nach wie vor Imageprobleme und kämpfen gegen Stigmatisierungen. Aufgrund des häufig höheren Anteils von Haushalten mit Zugangsschwierigkeiten auf dem Wohnungsmarkt bedürfen die Quartiere besonderer sozialer Aufmerksamkeit. Sie sind zwar nicht die Ursache, können aber zu Austragsorten sozialer Konflikte werden.
Entscheidend für den Erfolg der Siedlungserneuerung ist nach den Analysen der Gutachter das abgestimmte Vorgehen von Stadt und Wohnungseigentümern – sowohl was die Investitionstätigkeit als auch die Beteiligung der Bewohnerschaft betrifft. Das gelingt dort am besten, wo die großen Wohnsiedlungen einen ihrer Bedeutung entsprechenden Stellenwert in der kommunalen Stadtentwicklungsplanung haben. Ebenso wichtig sei die Kooperation der Eigentümer untereinander, die umso schwieriger ist, je kleinteiliger die Strukturen sind. Quartiersbezogenes Handeln wäre dort besonders erfolgreich, wo wenige professionelle Wohnungsunternehmen kooperativ miteinander zusammenarbeiten.
Die Studie betont, dass der Spielraum für die sozialverträgliche Erhöhung der Mieten eng ist. Die Siedlungserneuerung muss wirtschaftlich tragbar sein, sowohl für die Mieter als auch für die Vermieter. Große Wohnsiedlungen stehen wie keine andere Siedlungsform für das Potenzial kostengünstigen Wohnungsbaus. An die Bau- und Wohnungswirtschaft geht die Anregung, die Kostenvorteile seriellen Bauens und frühzeitiger Kooperation auszubauen.
Neues Teilprogramm gefordert
Aber auch die Politik müsse ihren Beitrag leisten. Zu überprüfen seien die kostentreibenden Anforderungen unter anderem im Bereich des Klimaschutzes und Barriereabbaus ebenso wie das Vergaberecht, das die frühzeitige Zusammenarbeit von Bau- und Wohnungsunternehmen erschwert. In diesen Bereichen könne die Baukostensenkungskommission einen erheblichen Beitrag leisten.
Das Zusammenspiel der Städtebauförderung, der Wohnraumförderung und Programme der KfW-Bankengruppe hat Erneuerungsprozesse im Quartierszusammenhang wesentlich unterstützt. Die in den letzten Jahren erfolgte stärkere Fokussierung der Förderung auf die Innenstädte solle dahingehend ergänzt werden, dass die Gebietskulisse der großen Wohngebiete wieder stärker berücksichtigt wird. Ein neues Teilprogramm der Städtebauförderung Integrierte Weiterentwicklung großer Wohnsiedlungen könne hierzu einen besonders wirksamen Beitrag leisten.
Das Gutachten wurde in Auftrag gegeben vom Hauptverband der Deutschen Bauindustrie, vom GdW und vom Bundesverband Baustoffe – Steine und Erden. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse kann beim GdW abgerufen werden. Die Ergebnisse der Fachkonferenz fließen in die Endfassung der Studie ein, die noch vom Kompetenzzentrum Großsiedlungen veröffentlicht wird.