Von Axel Gedaschko |
Deutschland braucht in den angespannten Märkten des Landes mehr bezahlbaren Wohnraum für alle Menschen. Diese Situation ist nicht neu. Derzeit beläuft sich das Wohnungsdefizit in Deutschland insgesamt auf mindestens 800.000 Wohnungen. Die Gründe dafür: kaum bezahlbares Bauland, zu hohe Baukosten und zu wenig Förderung. Die Binnenwanderung innerhalb Deutschlands und die hohen Zuwanderungszahlen von rund 1,4 Millionen Menschen in den Jahren 2012 bis 2014 – die mit der jetzigen Flüchtlingssituation nichts zu tun haben – verstärken die Notwendigkeit, das Wohnraumangebot in den Ballungsregionen auszuweiten. Die momentan steigenden Baugenehmigungen reichen nicht aus, um den hohen Bedarf an günstigem Wohnraum auch nur annähernd decken zu können. Insbesondere in den Wachstumsregionen erhöht die anhaltende Flüchtlingszuwanderung den Handlungsdruck enorm.
Konkret müssten in Deutschland bis 2020 jährlich insgesamt rund 400.000 Wohnungen und damit rund 140.000 Mietwohnungen mehr als in diesem Jahr gebaut werden – davon 80.000 Sozialwohnungen und 60.000 Einheiten im bezahlbaren Wohnungssegment. Diese Wohnungen fehlen insbesondere in Großstädten, Ballungszentren und Universitätsstädten. Klar ist: Wir brauchen mehr bezahlbare Wohnungen. Aber: Wir können die Herausforderungen nur mit einer klar formulierten, passgenauen und langfristig wirkenden Integrationsarbeit bewältigen.
Für alle Menschen bauen
Wir bauen für alle. Für Studenten, für ältere Menschen, für Alleinerziehende und Familien und für alle Menschen, die zu uns kommen und ein Bleiberecht haben. Aber wir brauchen jetzt mehr als zuvor Lösungen für immer noch bestehende Hemmnisse. Zum einen müssen Bauplanung und -genehmigung deutlich schneller und günstiger werden – sowohl für den Neubau als auch für die Instandsetzung bereits stillgelegter Gebäude. Zum anderen sind die soziale Betreuung und Arbeitsaufnahme von Zuwanderern so auszugestalten, dass diese ein Teil unserer Gesellschaft werden können.
In einer sehr angespannten Situation kommt es nun darauf an, nicht nur die Schwierigkeiten zu sehen, sondern an Lösungen zu arbeiten. Wir schaffen es gemeinsam, allen Menschen in Deutschland eine Heimat zu geben, wenn Bund, Länder und Kommunen jeweils die Punkte umsetzen, für die sie die Kompetenz haben. Die Wohnungswirtschaft hat hierfür eine umfassende Strategie vorgelegt.
Kostenträchtiger Irrweg
Auf Bundesebene sollte eine über die Kompensationsmittel hinausgehende Bundesförderung als Zuschuss, nicht als Zinsverbilligung gewährt und über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren kontinuierlich erhöht werden. Die Förderung sollte zweckgebunden sein und für den Neubau sowie die Instandsetzung von leer stehenden Bestandsbauten verwendet werden. Sofern dies nicht mit den Ländern vereinbart werden kann, sollte der Bund unmittelbar für den zusätzlichen Teil der Wohnraumförderung zuständig sein.
Eine immer weitere Verschärfung der Energieeinsparverordnung ist ein kostenträchtiger Irrweg mit sozialem Sprengstoff. Es kommt darauf an, die Klimaziele technikneutral unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgrundsatzes zu erreichen. Wir brauchen einen Neuaufschlag bei der Energieeinsparung, sonst ist die Energiewende im Gebäudebereich zum Scheitern verurteilt. Die Energieeinsparverordnung muss sich stärker an einer Senkung des Endenergiebedarfs ausrichten und sich am Ziel der CO2-Senkung orientieren. Darüber hinaus müssen Wohnquartiere einbezogen werden.
Der Wohnungsbau braucht wirksame Anreize. Der Bund sollte deshalb die steuerliche Normalabschreibung (AfA) von zwei auf drei Prozent erhöhen. In den Gebieten, in denen die neue Mietpreisbremse gelten soll, sollten die Abschreibungssätze auf vier Prozent erhöht beziehungsweise ein Investitionszuschuss eingeführt werden. In den betroffenen Gebieten sollte bei gefördertem Wohnraum außerdem auf die Grunderwerbsteuer verzichtet werden. Außerdem sollte die Grundsteuer B befristet für geförderte Wohnungen ausgesetzt werden.
Forderungen an die Länder
Länder, Kreise und kreisfreie Städte müssen hinsichtlich der Kosten der sozialen Betreuung (einschließlich Deutschkurse) und der Wiederherrichtung von unbewohnbaren Wohnungen finanziell vom Bund unterstützt werden.
Die Baunutzungsverordnung sowie das Naturschutz- und Immissionsschutzrecht (wie der Lärmschutz) sollten überarbeitet werden, um Hemmnisse für die Nutzungsmischung beim Neubau, die sozialverträgliche Nachverdichtung im Bestand und die Aufstockung von Wohngebäuden zu beseitigen.
Über die Musterbauordnung sollte eine sogenannte Typengenehmigung ermöglicht werden. So können die Prozessdauer verkürzt und Kosten gespart werden.
Es sollte ein ressortübergreifendes Sonderprogramm für Integration aufgelegt werden – auch um zusätzliches Personal bei den Wohnungsunternehmen vor Ort für die Integrationsarbeit zu ermöglichen. Das bewährte Programm Soziale Stadt muss mindestens in unveränderter Höhe für bereits bestehende Problemsituationen bereit stehen und stärker auf nicht-investive Maßnahmen ausgerichtet werden.
Die Länder müssen sicherstellen, dass Fördermittel für den geplanten Abriss von Wohnungen, die aufgrund der erhöhten Nachfrage vorübergehend zur Unterbringung von Flüchtlingen genutzt und erst zu einem späteren Zeitpunkt abgerissen werden, auch dann in gleicher Höhe zur Verfügung stehen.
Es muss eine für alle Bundesländer gleichermaßen geltende einheitliche Baunutzungsverordnung geben, um Typengenehmigungen und serielle Bauweise zu ermöglichen. Hier ist mehr Engagement gefragt.
Öffnungsklauseln, die zusätzliche Landesanforderungen ermöglichen, sollten befristet ausgesetzt werden. Außerdem muss die Grunderwerbsteuer muss sinken und die Länder sollten mittelbare Förderung ermöglichen.
Kommunale Aufgaben
Die Kommunen müssen die Wohnungsversorgung in ihren Städten und Gemeinden zur Chefsache machen. Dazu müssen sie einen Wohnungsbaukoordinator benennen, den die Länder kofinanzieren.
Die kommunalen Bauämter müssen personell deutlich besser ausgestattet werden, um die Genehmigungsverfahren drastisch zu beschleunigen. Außerdem müssen die Baulandpreise die deutlich gedämpft, maßvolle Hebesätze bei der Grundsteuer eingeführt und Planungs- und Genehmigungsverfahren durch Fremdvergaben beschleunigt werden.
Gleichzeitig darf die Bundesregierung aber nicht die großen Bemühungen für mehr bezahlbaren Wohnraum, energetische Sanierung und generationengerechten Umbau durch unverhältnismäßige Eingriffe in das Mietrecht selbst konterkarieren. Wir haben es hier mit einer regelrechten „Push-and-Pull-Strategie” zu tun. Das zweite Mietrechtspaket macht Sanieren wirtschaftlich unattraktiver und bremst Neubau und Vermieten insgesamt durch einen drastischen Eingriff in die Mietsystematik aus. So kann das Projekt „Bezahlbarer Wohnraum für alle Menschen in Deutschland” nicht gelingen.
Pragmatismus ist entscheidend
Zuwanderung ist für Deutschland eine große Herausforderung und Chance zugleich. Auch die Wohnungswirtschaft ist deshalb gefordert, einen Beitrag zu leisten, um Deutschland zu einer attraktiven Heimat zu machen. Die Wohnungswirtschaft baut Wohnungen für alle Menschen. Aber Heimat ist mehr als nur vier Wände und ein Dach über dem Kopf. Die Wohnungsunternehmen schaffen funktionierende Quartiere und sorgen bereits mit zahlreichen Angeboten für gute Nachbarschaften und Integration vor Ort. Das gelingt aber nur, wenn die Kommunen ihrer Betreuungsaufgabe nachkommen und sowohl die Länder als auch der Bund ihrer Pflicht zur Finanzierung einer strukturierten Integrationsarbeit nachkommen. Intensive soziale Betreuungsangebote für die Hilfesuchenden müssen bereitgestellt werden.
Wir brauchen frühzeitige Integrationshilfe, insbesondere durch Sprachkurse und Flüchtlingslotsen in den Quartieren, damit die Wohnquartiere nicht überlastet werden, sondern zusammenwachsen können.
In Zeiten, in denen sofort gehandelt werden muss, ist Pragmatismus entscheidend. Dies gilt besonders für den Wohnungsbau. Die Wohnungswirtschaft hat das Wissen, die Erfahrung, die Kontakte. Wir könnten schnell bauen. Wir wissen nicht erst seit gestern, wie erfolgreiche Integrationsarbeit funktioniert. Wir können und wollen dies auch.
Dafür benötigen wir von der Politik die genannten besseren Rahmenbedingungen. Unser Angebot an die politischen Entscheidungsträger: Packen wir es gemeinsam an.
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Vorsitzender der BID (Bundesarbeitsgemeinschaft Immobilienwirtschaft Deutschland)
Gedaschko wurde am 20. September 1959 in Hamburg geboren. Nach Abitur und Bundeswehrdienst studierte er Rechtswissenschaften in Hamburg und Göttingen. 2007 wurde er zum Senator der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt in Hamburg ernannt, 2008 zum Wirtschaftssenator und Präses der Behörde für Wirtschaft und Arbeit. Seit dem 1. Februar 2011 ist Axel Gedaschko Präsident des GdW (Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen). Zum 1. Juli 2015 hat er turnusmäßig für ein Jahr den BID-Vorsitz übernommen.[/tab]
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